Magazin Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 3/13) - page 22

Streben in die mediale Berichterstattung verbindet sich al-
lerdings mit dem Risiko der Veränderung der politischen
Botschaften. Die Medien verfahren nach ihren Selektions-
und Produktionskriterien. Abgesehen davon, dass die Me-
dien kürzen müssen, hat es die Politik nicht in der Hand,
was aus ihren Angeboten wird: Was wird aufgegriffen, was
wird betont, was wird wie bewertet?
Diesem Risiko lässt sich ausweichen durch den
Einsatz solcher Instrumente, die in der Verantwortung der
Politik liegen und keine Veränderungen durch mediale Ver-
arbeitungsprozesse erfahren. Das sind die sogenannten
paid
media
(im Gegensatz zu den
earned media
, womit die „Er-
arbeitung“ der Berücksichtigung in den redaktionellen An-
geboten der Medien gemeint ist), dazu gehören alle Werbe-
mittel, wobei Wahlwerbung in Radio und Fernsehen wegen
der großen Reichweite am interessantesten ist. Die meisten
europäischen, nord- und lateinamerikanischen Staaten er-
lauben Parteien oder Kandidaten Werbung während der
letzten Wochen eines Wahlkampfes; in vielen Ländern stel-
len die Rundfunkanstalten für Wahlspots kostenlose Wer-
bezeit zur Verfügung, manche geben denWahlkämpfern die
Möglichkeit zum Ankauf von Werbezeit. Radio und Fern-
sehen fungieren nur als Transporteure der Wahlwerbung,
deren Gestaltung bleibt in den Händen der Parteien oder
Kandidaten. Sie können sicher sein, dass ihre Werbung so
ausgestrahlt wird, wie sie es selbst gewollt haben. Diese
Möglichkeit der unveränderten Selbstdarstellung hat aller-
dings wie- derum ihren Preis: Das Medienpublikum weiß,
dass es sich umWerbung handelt, dass es Parteien und Kan-
didaten um seine Stimme geht. Das aktualisiert unter Um-
ständen Reaktanzen, wie sie bei allen Arten von Werbung
vorkommen. Die je nach Land mehr oder weniger weit ge-
hende Regulierung von Wahlwerbung − zeitliche und men-
genmäßige Beschränkungen, Platzierung, Vorgaben für
Text und Bild − und Distanzierungsstrategien der Rund-
funkanstalten, die die Wahlwerbung als solche ankündigen,
die Verantwortung von Parteien und Kandidaten hervorhe-
ben und die Fernsehspots mit der Kennzeichnung „Wahl-
werbung“ versehen (wie das etwa im deutschen Fernsehen
der Fall ist), tun ein Übriges, um den Wahlkämpfern den
Einsatz von Werbespots zu verleiden.
Unter den anderen, nicht an die Massenmedien
gebundenen Werbemitteln erreichen nur Plakate nennens-
werte Reichweiten in den Ländern, wo Plakatwerbung in
Wahlkämpfen üblich ist. Plakate haben zwar eine große
Breitenwirkung, denn an ihnen ist einfach nicht vorbeizu-
kommen. Außerdem sind sie oft das letzte Werbemittel, das
die Wählerinnen undWähler auf demWeg ins Wahllokal se-
Internet, Facebook, Twitter & Co.
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hen und daher vielleicht gerade noch vor Augen haben,
wenn sie ihr Kreuzchen auf dem Wahlzettel machen. Auf-
grund ihres offensichtlichen Werbecharakters und der qua-
si natürlichen Einschränkungen für Plakate, die dadurch be-
dingt sind, dass Plakate stets nur im Vorbeigehen oder
-fahren und daher sehr, sehr kurz beachtet werden, haben
sie ihre Funktion im Wahlkampf allerdings vor allem darin,
auf den bevorstehenden Wahltermin aufmerksam zu ma-
chen.
Neue Herausforderungen −
neue Möglichkeiten
Die neue Unberechenbarkeit der Wählerschaft hat die Po-
litik vor besondere Herausforderungen gestellt. Die Betei-
ligung an Wahlen ist weniger selbstverständlich geworden.
Vor der Stimmenwerbung ist es daher die erste Aufgabe von
Wahlkampagnen, die Wählerinnen und Wähler zu mobili-
sieren, um sie schließlich an die Wahlurnen zu bringen. Die
Kurzfristigkeit von Wahlentscheidungen und die Neigung,
es sich auch während des laufenden Wahlkampfes noch ein-
mal anders zu überlegen und die Wahlentscheidung zu än-
dern, verlangen eine dauerhaft intensive Kampagne, um die
Wähler bei der Stange zu halten. Aufgrund globaler Ab-
hängigkeiten und übernationaler Zusammenhänge steht die
Politik zudem vor dem Problem, dass Versprechungen für
die Zukunft unsicher, weil oftmals nicht allein auf nationa-
ler Ebene zu entscheiden sind. Das hat zuletzt die Finanz-
krise deutlich vorgeführt. Positionen und Problemlösungen
müssen daher vage bleiben oder werden durch allgemeine
Sympathiewerbung ersetzt. Dafür eignen sich Personen
meist besser als abstrakte Themen.
Die Möglichkeiten, die die Digitalisierung mit sich
gebracht hat, kommen diesenHerausforderungen entgegen.
Zunächst ist mit dem Internet ein neues Werbemittel ent-
standen, das die Ansprache der Wählerschaft an den tradi-
tionellen Massenmedien vorbei erlaubt und auch eine ge-
wisse Form der Interaktivität bietet. Die sozialen Netz-
werke haben diese Möglichkeiten noch einmal erweitert.
Schon in den 1990er-Jahren kamen E-Mail und
Internet in Wahlkampagnen in den USA zum Einsatz.
7
Um
die Jahrtausendwende entwickelte sich der Aufbau von Da-
tenbanken, die dem Kampagnenmanagement zur gezielten
Ansprache der Wählerschaft dienen. Zur gleichen Zeit ka-
men Blogs auf, und die neuen Techniken wurden zuneh-
mend auch für das Fundraising genutzt. Den ersten Rekord
setzte dafür der sonst glücklose Präsidentschaftskandidat
Howard Dean im Jahr 2004. 2005 kam Youtube auf und er-
7 Vgl. Andreas Jungherr / Harald Schoen: Das Internet in Wahlkämpfen. Konzepte, Wirkungen und Kampagnenfunktionen, Wiesbaden 2013.
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