Magazin Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 3/13) - page 19

Internet, Facebook, Twitter & Co.
Einsichten und Perspektiven 3 | 13
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Bei einemFacebook-Eintrag nach einer Palästina-Reise ver-
griff er sich mit seinem Urteil über Israel und erntete eine
Protestwelle, die ihn zum Zurückrudern zwang. Als „Twit-
ter-König“
1
indessen gilt Gabriels Politikerkollege Peter
Altmaier von der CDU. Noch bevor er im Frühjahr 2012
das Bundesumweltministerium übernahm, tat er sich zu sei-
ner Zeit als Geschäftsführer der Unionsfraktion als Twitter-
Pionier in seiner Partei hervor. Er bringt es mittlerweile auf
mehr als 34500 Follower.
Längst haben Internet und soziale Netzwerke Ein-
zug in die politische Kommunikation gehalten, und zwar
nicht erst seit Barack Obamas Internet-Kampagne in der
US-Präsidentschaftswahl 2008. Diese galt jedoch als ein
Wendepunkt in der Art und Weise, wie Wahlkampf abläuft.
So hieß es amWahltag in der
NewYork Times
über die Kam-
pagne: “
It has rewritten the rules on how to reach voters,
raise money, organize supporters, manage the news media,
track and mold public opinion, and wageand withstand po-
litical attacks, including many carried by blogs that did not
exist four years ago. „
2
Die Kampagne 2012 schließlich hat
die zunehmende Bedeutung der digitalen Medien für den
Wahlkampf und die allmähliche Verlagerung weg von den
klassischen Wahlkampfkanälen vorgeführt.
Internet und soziale Netzwerke haben neue Mög-
lichkeiten für die politische Kommunikation mit sich ge-
bracht, sie haben die Politik verändert und das Verhältnis
von Politik undMedien neu definiert. Diese Veränderungen
treffen zusammen mit gesellschaftlichen Entwicklungen,
die die Bedingungen für die Politikvermittlung schwieriger
gemacht und zur Anpassung gezwungen haben.
Professionalisierung der politischen
Kommunikation
Die traditionellen Modelle des Wahlverhaltens führten die
Wahlentscheidung auf Faktoren zurück, die als langfristig
stabil galten. Sie konnten aufgrund soziodemografischer
Merkmale oder aufgrund einer festgefügten Parteineigung
mit hoher Wahrscheinlichkeit vorhersagen, wem ein Wäh-
ler seine Stimme geben wird. Die Verlässlichkeit der Wäh-
lerinnen und Wähler, die sich darin ausdrückte, hat nachge-
lassen. Die Gründe dafür liegen im sozialen Wandel, der die
traditionellen Milieus aufgebrochen hat. Die Gesellschaft
hat sich differenziert, es entstehen Lebensstilgruppen, die
aber als weniger stabil und dauerhaft einflussreich gelten als
einstmals die sozialen Schichten. Dieser Modernisierungs-
prozess hat die politischen Bindungen geschwächt, die
Stammwählerschaften der Parteien sind kleiner geworden,
Wahlentscheidungen wandeln sich leichter und schneller.
Wie einzelne Wählerinnen und Wähler sich beim Wahlter-
min entscheiden werden, lässt sich nicht mehr so einfach
vorhersagen. Sie entscheiden sich später, verändern ihre
Entscheidungen noch während des Wahlkampfes und be-
halten sich vor, ob sie überhaupt an die Wahlurne gehen.
Das macht den Umfrageinstituten ebenso zu schaffen wie
den Wahlkampfstrategen, die Volatilität der Wählerschaft
stellt sie vor neue Herausforderungen.
Neben der gesellschaftlichen Differenzierung und
der nachlassenden Verbindlichkeit der sozialen Gruppen
wirken sich für die politische Kommunikation tiefgreifende
Veränderungen in den Mediensystemen aus. Kaum war in
„Mariechen ist abgefüttert. Der Kaffee ist da. Also kann’s losgehen.“ So twitterte SPD-
Chef Sigmar Gabriel während seiner Elternzeit im Sommer 2012, als er sich einer
Twitter-Fragestunde stellte. Bevor er aber seine politischen Anliegen loswerden
konnte, musste er erst Fragen zu den im Bild erkennbaren goldglänzenden Türgriffen
seiner Wohnung und zu seinem Kaffeebecher beantworten. Mittlerweile hat sich Ga-
briel ein Image als eifriger Microblogger geschaffen. Heute hat er fast 22000 Follower.
Dass die spontane Verbreitung aller Arten von Informationen über die „neuen Me-
dien“ aber durchaus Gefahren birgt, musste Gabriel allerdings auch schon feststellen.
1 Stephan Dörner: „Twitter-König“ der CDU wird Minister, in: Handelsblatt vom 16. Mai 2012.
2 Adam Nagourney: The ’08 campaign: sea change for politics as we know it, in: New York Times vom 3. November 2008.
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