Magazin Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 3/13) - page 10

es anders. Als wir beispielsweise 1944 mit dem Schiff nach
Europa gefahren sind – das waren besondere Schiffe, die
sehr schmal gebaut waren –, waren ganz unten die Schwar-
zen, und dann sind die Inder gekommen, dann noch einmal
andere, dann wir, und dann, ganz oben, waren die Englän-
der. Das Schiff hat ziemlich geschaukelt, besonders unten,
weil es so schmal war. Viele wurden seekrank, das war
schlimm!
Landeszentrale:
Das sind jetzt schon die nächsten Statio-
nen Ihres Lebens – aber beschreiben Sie uns doch noch Ih-
re Ausbildung zum Soldaten in dem Camp südlich von Tel
Aviv – was haben Sie da gelernt?
Hamburger:
Na, alles, was man so lernen muss:schießen,
kriechen, Wache stehen, marschieren, exerzieren.
Landeszentrale:
Aber die Gruppe dieser zehn, zwölf
Freunde aus Blankenese, die haben Sie nicht mehr getrof-
fen?
Hamburger:
Die waren schon weg.
Landeszentrale:
Haben Sie dort überhaupt noch jeman-
den gekannt?
Hamburger:
Na ja, man hat sich kennengelernt! Es hat
eben welche gegeben, die man gemocht hat.
Landeszentrale:
Wann haben Sie dieses Lager verlassen?
Hamburger:
1942. Wir mussten zunächst verschiedene
Aufgaben in Palästina ausführen. So standen wir zum Bei-
spiel Wache neben Lagern, die voll mit Munition waren. Ein
anderes Mal haben wir – noch mit einem weiteren Jungen
aus Deutschland – sechs deutscheOffiziere weggebracht. Es
gab da ein Gefangenenlager in Latrun. Dafür haben sie zwei
ausgewählt, die deutsch sprechen konnten. Und die deut-
schen Offiziere haben natürlich nicht gewusst, dass wir
ebenfalls Deutsche waren.
Das waren zum Beispiel unsere Aufgaben, bis wir
dann 1944 auf dem Weg durch die Wüste nach Europa ge-
kommen sind.
Landeszentrale:
Sind Sie dabei über den Sinai gefahren?
Hamburger:
Wir sind mit dem Zug über den Sinai gefah-
ren, um in Port Said eingeschifft zu werden. Von dort aus
ging es weiter nach Europa.
Landeszentrale:
Erinnern Sie sich noch daran, ob diese
deutschen Offiziere, die Sie begleitet haben, irgendetwas
Besonderes besprochen haben?
Hamburger:
Nein, nein, kein Wort. Nichts, das wert ge-
wesen wäre, zu hören. Die haben sich ganz normal unter-
halten. Da hat es die
Jewish Brigade
auch noch nicht gege-
ben, denn die hätte man ja erkannt. Wir haben dann später
ein eigenes
badge
6
, ein weiß-blaues Abzeichen, bekommen.
Landeszentrale:
In Port Said, wo Sie dann auf das Schiff
gegangen sind – waren Sie schon Soldat der
Jewish Brigade
?
6 Englischer Begriff für „Marke“. Im militärischen Kontext stellt
badge
ein Abzeichen dar, das zur Identifikation des jeweiligen Verbandes
dienen soll.
Ein Gesprächmit Arno S. Hamburger
Einsichten und Perspektiven 3 | 13
146
Hamburger:
Ja, das war 1944, als wir nach Europa gekom-
men sind.
Landeszentrale:
Die Gründung der
Jewish Brigade
fand
1944 statt, da waren Sie noch in Palästina. Gab es da einen
Gründungsakt, oder wie hat das funktioniert?
Hamburger:
Nein, das ist ausgerufen worden. Und es wur-
de gesagt, jeder, der will, könne sich transferieren lassen.
Landeszentrale:
War das eine besondere Verwendung?
Hamburger:
Das war keine besondere Verwendung, das
war ganz einfach:Die jüdischen Behörden haben darauf ge-
drungen, genau wie die Australier, die Neuseeländer und die
anderen, eine eigene Einheit zu haben. Das waren ungefähr
viereinhalbtausend Mann! Primär englische Offiziere, aber
es hat auch jüdische Offiziere und Unteroffiziere gegeben.
Ich war ja bereits Unteroffizier, als ich noch bei einer engli-
schen Einheit war.
Landeszentrale:
Dann sind Sie in Port Said auf das Schiff
gegangen und 1944 in Italien gelandet?
Hamburger:
Ja, wir sind von Nordafrika aus Ende 1944 in
Italien gelandet und dann nordwärts gezogen.
Landeszentrale:
Also dort, wo die Amerikaner schon weit
vorgedrungen waren?
Hamburger:
Ja, und wir sind raufmarschiert in Richtung
Florenz. Am 8. Mai 1945 waren wir in Spoleto, in Zentral-
italien.
Landeszentrale:
Waren Sie in Italien denn noch in Kämp-
fe verwickelt?
Hamburger:
Die Hauptmacht der Deutschen war schon
weiter, viel tiefer imLand, so dass es nur einzelne Kämpfe mit
versprengten Einheiten gab. Allerdings gab es noch einige
Überfälle durch Partisanen, die zwar inzwischen auf unserer
Seite waren, auf die man sich jedoch nicht verlassen konnte.
Bei Kriegsende am 8. Mai waren wir – wie gesagt –
in Spoleto. Ich bin natürlich sofort nervös geworden, da ich
ja weiter nach Nürnberg wollte.
Landeszentrale:
Haben Sie das Kriegsende auch als so
wichtiges, zentrales Datum wahrgenommen?
Hamburger:
Natürlich habe ich das so wahrgenommen.
Das war schon wichtig:Das Leben würde sich jetzt voll-
kommen verändern. Und vor allen Dingen bestand ja mein
ganzes Sinnen und Trachten darin, dass ich wissen wollte,
was daheim los ist.
Es hat damals einen Erlass gegeben, dass niemand,
der nicht in irgendeiner Form eine Beschäftigung als Besat-
zer oder irgendetwas dahingehend hatte, nach Deutschland
hineindurfte.
In Florenz, ungefähr 150 Kilometer von Spoleto entfernt,
gab es ein Hauptquartier der achten Armee, von wo aus ich
versuchte, nach Deutschland zu gelangen.
1,2,3,4,5,6,7,8,9 11,12,13,14,15,16,17,18,19,20,...72
Powered by FlippingBook