Magazin Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 3/13) - page 9

Ein Gesprächmit Arno S. Hamburger
Einsichten und Perspektiven 3 | 13
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4 Die
Jewish Brigade
war eine Einheit der britischen Armee und setzte sich aus Freiwilligen des britischen Völkerbundmandats Palästina zu-
sammen. Sie bestand bis zum Sommer 1946.
5 „
Natives“:
aus dem Engl., in etwa mit „Ureinwohner“ zu übersetzen. Als Kolonialmacht verstanden sich die Briten von Grund auf überle-
gen gegenüber den Einheimischen.
ich in der Früh um drei einfach den Stecker eingesteckt. Das
führte dazu, dass innerhalb von einem halben Jahr alle Hüh-
nerställe dort elektrisches Licht hatten. Das hat mir natür-
lich schon einen bestimmten Ruf eingebracht.
1941 erließen die jüdischen Organisationen einen
Aufruf an die Bevölkerung, dass sich pro Siedlung zwei
Leute zum Militär melden sollen, um einen Nukleus für ei-
ne zukünftige Armee zu bilden. Man hat dann unter den
Moschav
-Siedlungen ausgelost, wer gehen musste bezie-
hungsweise sollte.
Ich war zwar nicht in dem Topf, aber das Los hat-
te meinen Gastgeber, meine Familie, getroffen, und die Frau
hatte ja gerade das zweite Kind geboren. Ich sagte dann zu
meinem Gastgeber:„Du gehst nicht – ich gehe!“ Und ob-
wohl er eigentlich dagegen war, habe ich mich durchsetzen
können und meldete mich schließlich zum Militär.
Landeszentrale:
Sie haben in einem früheren Gespräch ge-
sagt, Ihr Gastgeber sollte für Sie auf keinen Fall die Rolle ei-
nes Ersatzvaters einnehmen.
Hamburger:
Nein. Ich war damals 17, und er war damals,
sagen wir, 30. Er hieß Meir Schufmann, sie hieß Ina und de-
ren Tochter Amira. Eyrud, der dann zur Welt kam, ist En-
de 1940 geboren.
Landeszentrale:
Was ist aus Eyrud geworden, wissen Sie
das?
Hamburger:
Ja, der besitzt heute den Hof, den sein Vater
früher hatte.
Landeszentrale:
Und Amira – lebt sie noch?
Hamburger:
Das weiß ich nicht.
Landeszentrale:
Sie haben sich anstelle von Meir Schuf-
mann gemeldet, mit demSie gearbeitet haben. Und das durf-
ten Sie, obwohl Sie gerade erst nach Israel gekommen und
noch sehr jung waren?
Hamburger:
Ja, ja. Ich war frei in meiner Entscheidung.
Landeszentrale:
Und dann haben Sie sich verabschiedet.
Gab es da ein Fest?
Hamburger:
Nein, ich bin direkt ins Ausbildungslager süd-
lich von Tel Aviv. Das Militärcamp gibt es immer noch:
Mein Enkel, der jetzt beim Militär ist, wurde im gleichen
Lager ausgebildet. Es war ein riesiges englisches Militärla-
ger mit sehr großen Ausbildungs- und Paradeplätzen, auf
denen man exerziert hatte.
Landeszentrale:
Hatten Sie dann zwischendrin auch Ur-
laub, so dass Sie manchmal zur Familie zurückkonnten?
Hamburger:
Ja, während der Ausbildung.
Landeszentrale:
Und die Idee war:Juden werden Mitglie-
der der englischen Armee, um gegen die Deutschen zu
kämpfen?
Hamburger:
Natürlich, das sowieso. Aber dahinter steck-
te auch der Gedanke, dass man einen Kern von Leuten mit
militärischer Ausbildung für spätere Zeiten schafft. Nach-
dem wir zunächst nur in englischen Einheiten waren, wur-
de Anfang 1944 die
Jewish Brigade
4
gegründet, wohin man
sich transferieren lassen konnte.
Landeszentrale:
Waren Sie beteiligt bei den Diskussionen
der Juden über das Engagement für und mit den Briten be-
ziehungsweise gegen sie?
Hamburger:
Ja, wir waren beteiligt, es hat manchmal gro-
ße Auseinandersetzungen gegeben, ich erinnere mich sehr
gut. So etwa bei der Ausbildung:Ich habe kein Wort Eng-
lisch verstanden, und das war natürlich peinlich. Ich muss-
te immer, wenn es da irgendwelche Befehle gegeben hat, zu
meinem Nachbarn schielen, was der jetzt gerade gemacht
hat, und das hat den verständlicherweise geärgert. Bereits
nach drei Wochen hat mir das 14 Tage Bau eingebracht.
Wirklich, ich hatte mehrere solche Vorfälle. Nach
der Ausbildung waren wir in einem Lager in der Nähe von
Haifa, wo ich gerade meinen dritten Streifen bekommen
hatte. Dort gab es einen Staff Sergeant, einen Rang höher als
ich, bei dem ich ständig grinsen musste, weil er gestottert
hat. Dafür hat der mich angezeigt beim Sergeant Major,
beim Spieß, das war die höchste Unteroffiziersstufe.
Landeszentrale:
Haben Sie eigentlich in der Zeit im
Mo-
schav
oder auch später Übergriffe von Arabern erlebt?
Hamburger:
Wir waren dort auch eingeteilt als
Shomrim
,
als Wächter über die Weiden und die Orangenplantagen,
und da ist es schon vorgekommen, dass aus den benachbar-
ten Dörfern Leute gekommen sind, die die Früchte gestoh-
len haben. Aber direkte feindliche Übergriffe mit Schlägen
oder so, das kam nicht vor. Sie haben eben geklaut, und wir
haben versucht, sie daran zu hindern.
Fürs Wachestehen wurden wir auch im Dorf aus-
gebildet mit kleinen Gewehren vom Kaliber 22.
Landeszentrale:
Sie haben aber keine Übergriffe erlebt.
Hamburger:
Nein, also Übergriffe, Auseinandersetzun-
gen, die über das Verbale hinausgingen, hat es nur zwischen
den Engländern und uns gegeben. Die haben uns als
na-
tives
5
betrachtet, und das haben wir uns natürlich nicht ge-
fallen lassen.
Schon bei der Ausbildung ging das los! Wir waren
nun einmal die
natives
. Denn die Engländer hatten ja Sol-
daten aus dem ganzen Empire, auch in Palästina. Es gab
Neuseeländer, Australier, Schwarze und Inder. Und die ein-
zelnen Länder haben sich nicht immer sehr gut verstanden.
Nur wenn man gemeinsam im Dreck lag, dann war das al-
les vergessen. Aber wenn man irgendwo stationiert war, war
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