Magazin Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 3/13) - page 13

Ein Gesprächmit Arno S. Hamburger
Einsichten und Perspektiven 3 | 13
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Das zerstörte Nürnberg im März 1945
Foto: ullstein bild, Fotograf: Walter Frentz
Am Sonntagmorgen ergab sich dann eine Mitfahr-
gelegenheit nach Nürnberg. An einem sonnigen Maitag war
ich dann letztendlich am Plärrer angekommen, das war der
27. Mai 1945.
Landeszentrale:
Sie sind in eine zerstörte Stadt heimge-
kommen.
Hamburger:
Als ich vom Plärrer aus in Richtung Burg ge-
schaut habe, sah ich, was da los war, und ich muss Ihnen sa-
gen – ich sage das übrigens immer wieder –, mein erster Ge-
danke war:Das, was der Verbrecher Streicher am 10. Au-
gust 1938 gesagt hat, „die Saat, die wir gesät haben, ist
aufgegangen“, genau das war eingetroffen. Die Altstadt sah
so aus wie unsere Synagoge am Hans-Sachs-Platz am
10. August und die Synagoge in der Essenweinstraße am
10. November 1938:geborstene Balken, zerbrochene Mau-
ern, nur die Fassaden standen noch!
Landeszentrale:
Und die Menschen, auf die Sie getroffen
sind, haben Sie mit denen gesprochen?
Hamburger:
Nein. Es hat dann, als ich länger da war, schon
Vorfälle auf der Straße gegeben, weil ich ja eine ganz ande-
re Uniform trug. Die Leute fingen hinter meinem Rücken
zu tuscheln an:„Was ist denn das für einer? Der hat ja eine
ganz andere Uniform an.“ Wenn ich mich dann umdrehte
und sagte:„Hört auf mit euremG’schmarre!“, haben die na-
türlich die Welt nicht mehr verstanden.
Landeszentrale:
Wie haben Sie Ihre Eltern wiedergefun-
den?
Hamburger:
Ich war in der zerstörten Stadt, bin dann zu
dem Haus in der Wunderstraße gelaufen, von wo aus ich
weg bin, aber da ist niemand mehr gewesen. Mein Vater war
ja am Gleisbau als Zwangsarbeiter eingesetzt, also bin ich
dann weiter zur Schnieglinger Straße gelaufen.
Landeszentrale:
Immer noch am Sonntag, immer noch an
dem gleichen Tag?
Hamburger:
Ja, freilich. Ich habe ja nicht gewusst, wo ich
sonst hinsollte.
Am Friedhof an der Schnieglinger Straße ange-
kommen, habe ich dort geklingelt – das war so um eins, halb
zwei –, und es ist jemand an die Tür gekommen, den ich seit
meiner frühesten Jugend kannte. Das war ein Funktionär
des Bar Kochba, des jüdischen Turnvereins, der dann nicht
mehr Bar Kochba hieß, sondern JTUS, Jüdischer Turn- und
Sportverein. Und der sagte zu mir:„Was kann ich für Sie
tun?“ Darauf ich zu ihm:„Kennen Sie mich nicht? Ich bin
der Arno Hamburger!“ Da ist er sehr erschrocken. Ich ha-
be ihn sogleich gefragt:„Wissen Sie eventuell, was mit mei-
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