Magazin Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 3/13) - page 24

Der demokratische Bewerber
für das Amt des Bürgermei-
sters von New York, Anthony
Weiner, hier neben seiner Frau
Huma Abedin bei einer Pres-
sekonferenz am 23. Juli 2013
in New York, ist eines der
jüngsten Beispiele für eine
eher unprofessionelle Nutzung
von Twitter im Wahlkampf:
Weiner hatte sexuell anzügli-
che Fotos über Twitter ver-
sandt; die demokratischen
Vorwahlen am 10. September
2013 verlor er deutlich.
Foto: ullstein bild, Reuters, Fotograf:
Eric Thayer
für einen Kandidaten zu gewinnen.
16
Die Digitalisierung hat
es nun aber möglich gemacht, eine Vielzahl von Daten über
Wählerinnen und Wähler zusammenzuführen, so dass sie
mit ihren persönlichen Interessen und Themen und regio-
nal unterschiedlich angesprochen werden können. Die
Grundlage für die „
big data
“ der Obama-Kampagne legte
sein Wahlkampf 2008, in dem bei allen Gelegenheiten
E-Mail-Adressen gesammelt wurden, die sich anderen Da-
ten zuordnen ließen. Eine besondere Rolle spielte dabei das
damals eingerichtete soziale Netzwerk MyBo.
17
Die Aus-
wertung der Daten aus dem Wahlkampf 2008 lieferte „Na-
men von 69 Millionen Wählern, die bei der letzten Wahl für
Obama gestimmt hatten [...]. Außerdem verriet
big data
,
welche Wähler noch unentschlossen waren, und sogar, wel-
che Anhänger der gegnerischen Republikaner sich eventu-
ell noch umstimmen ließen. In diesem Wahlkampf wurden
über 100 Millionen Dollar allein dafür ausgegeben, das
größte soziale Netzwerk in der Geschichte der Politik auf-
zubauen. Millionen Amerikaner tauschten sich über The-
men aus, die sie wirklich betrafen.“
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Der Einsatz von Internet, Facebook und Co. er-
laubt den Kampagnenorganisationen, direkt mit den Wäh-
lerinnen und Wählern in Kontakt zu treten und ein virales
Marketing zu betreiben. Sie umgehen dabei die klassischen
Massenmedien, auf die sie bislang angewiesenwaren und die
jahrzehntelang das primäre Ziel der Wahlkämpfer waren.
Insofern bedeuten die neuen Kampagneninstrumente eine
Internet, Facebook, Twitter & Co.
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Rückkehr zu den alten Methoden des
Grassroot Cam-
paignings
und des unmittelbaren, nicht über die Massenme-
dien vermittelten Austausches mit der Wählerschaft. Wohl
auch deshalb sagt Joe Trippi, der 2004 Howard Dean in
seinem Wahlkampf beraten hatte: „[...] für mich fühlt es
sich so an, als ob Technik der Politik ihre Seele zurückgege-
ben hat.“
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Vor allem das Fernsehen, das bislang Ziel der Be-
gehrlichkeiten von politischer Seite war, verliert durch die-
se Entwicklungen an Relevanz als Wahlkampfmedium.
Das bedeutet den Rückgang des medialen Einflusses auf die
Politikvermittlung, die journalistischen Selektions-, Verar-
beitungs- und Kommentierungsleistungen entfallen. Statt-
dessen treffen die politischen Botschaften direkt auf die
Wählerinnen und Wähler, die nun selbst übernehmen müs-
sen, was ihnen bislang abgenommen wurde. Für die Politik
entfällt damit das unbequeme Risiko der Veränderung, aber
auch Überprüfung ihrer Aussagen durch die mediale Bear-
beitung. Zwar behält das Fernsehen für den Wahlkampf ei-
ne gewisse Attraktivität durch seine großen Reichweiten,
die jedoch gleichzeitig das „Zielgruppentargeting“ er-
schweren.
Die individuell zugeschnittene Wähleransprache
– alles für jeden –, die durch die digitalen Kampagnenkanä-
le und die Anhäufung von
big data
möglich geworden ist,
belegt endgültig den Übergang von der Produktorientie-
rung über die Verkaufs- zur Marktorientierung,
20
wie sie die
16 Vgl. Joe Trippi: Technik gibt der Politik die Seele zurück, in: Technology Review vom 1. Februar 2013.
17 David Talbot: Die personalisierte Wahl-Kampagne, in: Technology Review vom 24. März 2009.
18 Trippi (wie Anm. 16).
19 Trippi (wie Anm. 16).
20 Vgl. Jennifer Lees-Marshment: Political marketing and British political parties. The party’s just begun, Manchester 2001.
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