Magazin Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 3/13) - page 34

Verfügung, gefolgt von Japan (380Mrd.), Brasilienmit mehr
als 220 Mrd. und Russland mit etwa 150 Mrd. Die Bundes-
regierung beabsichtigte, die Konjunktur mit 84 Mrd. Euro
zu stützen, Großbritannien mit 41,5 sowie Frankreich mit
26 Mrd. Euro.
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Viele in wirtschaftlichen Schwierigkeiten
steckende Unternehmen hofften nun auf staatliche Unter-
stützung, in der Bundesrepublik Deutschland zum Beispiel
auch so namhafte wie die bereits vor der Krise verlustreiche
Karstadt- und Quelle-Mutter Arcandor, Heidelberger
Druck oder Jenoptik; viele andere mussten aufgrund des
Auftragsausfalls die Arbeitszeit reduzieren, darunter der
Halbleiterhersteller Infineon oder der Autobauer Daimler.
Dennoch rutschte die Weltwirtschaft 2009 in die stärkste
Krise seit 1945.
29 Mit Bezug auf die Deflation der 1930er-Jahre ist immer noch grundlegend der Artikel von Manfred Feldsieper: Deflation, in: Handwörter-
buch der Wirtschaftswissenschaft (HdWW), Band 2, hg. von Willi Albers / Karl Erich Born / Ernst Dürr, Stuttgart/New York/Tübingen/
Göttingen/Zürich 1988, S. 133–141.
30 Vgl. Große Pakete, in: Die Zeit, Nr. 4 vom 15. Januar 2009.
31 Vgl. Aldcroft (wie Anm. 13), S. 280.
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33 Vgl. Marc Brost / Mark Schieritz: Abgebrannt am Mittelmeer, in: Die Zeit, Nr. 3 vom 14. Januar 2010.
Krisen und Krisenängste. Die Erfahrung der „Großen Depression“ und die Krise der Weltwirtschaft seit 2007
Einsichten und Perspektiven 3 | 13
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Die europäische Staatsschuldenkrise
Als im Januar 2009 unter diesen Bedingungen US-amerika-
nische Ratingagenturen die Bonitätsnoten für Irland, Spa-
nien, Portugal und Griechenland senkten, bedeutete das in
der Folge für diese Länder steigende Zinsen und die Gefahr,
eines Tages für ihre Anleihen keine Käufer mehr finden zu
können. Die Entwicklung entsprechender
Credit Default
Swaps
(CDS), also von Papieren, die Anleger gegen Zah-
lungsausfälle absichern, verwies schnell auf die hohe Wahr-
scheinlichkeit einer Zahlungsunfähigkeit, also eines „Staats-
bankrotts“ Griechenlands. Wie in den 1920er-Jahren, als of-
fenkundig hätte sein müssen, dass viele Länder, u. a. auch
das Deutsche Reich, mehr Kapital aufnahmen, als sie in der
Lage waren zurückzuzahlen,
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hatten Anleger lange auch
die realwirtschaftliche Entwicklung in Griechenland igno-
riert und umfangreich Kredite vergeben. Im Verlauf der
Großen Depression wurde das Deutsche Reich schließlich
insolvent; Griechenlands Zahlungsunfähigkeit zeigte sich
an dem sog. „Schuldenschnitt“ vom März 2012.
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Ein Jahr
nach der Herabstufung durch die Ratingagenturen galt die
Lage aller Mittelmeerstaaten als so bedrohlich, dass finan-
zielle Hilfen angedacht werden mussten.
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Damit war die
Finanzkrise nicht nur auf die Realwirtschaft, sondern auch
auf Staaten der europäischenWährungsunion übergesprun-
gen, in der schon bald über „Rauswerfen oder Retten“ dis-
kutiert wurde.
Diese Diskussion stellt die eigentliche „Euro-Kri-
se“ dar, die nicht mit der Schuldenkrise verschiedener Euro-
Länder verwechselt werden darf. Das Problem hoher staat-
licher Verschuldung liegt in der sich daraus ergebenden
mangelnden Handlungsfähigkeit eines Staates: Noch wäh-
rend der Großen Depression galt als allgemein anerkannt,
dass der Staatshaushalt ausgeglichen zu sein habe, sich Ein-
nahmen und Ausgaben eines Staates also die Waage halten
mussten. Konjunkturell bedingte Einnahmeausfälle hätten
damit automatisch Ausgabenkürzungen hervorbringen
müssen, was die Konjunktur wiederum verschlechtert hät-
te. Dieses Postulat aus der Zeit des wirtschaftlichen Libera-
lismus kann inzwischen als überholt gelten, doch könnte
aus starker Überschuldung eines Staates, in deren Folge er
keine Kredite mehr erhält, und dem damit verbundenen
Zwang zum Sparen durchaus ein demHaushaltsausgleichs-
postulat vergleichbarer Effekt resultieren. So warnt der ja-
panische Ökonom Richard Koo davor, dass Europa durch
seinen geplanten Schuldenabbau in eine deflationäre Ab-
Die Deflationsgefahr
Eine Deflation ist das Gegenteil einer Inflation. Im Falle einer
Deflation sinken die Preise im Durchschnitt und über eine län-
gere Zeit hinweg spürbar. Das ist insofern problematisch, als
der Wert laufender Kredite imVergleich zu den damit ange-
schafften Sachwerten – somit die Gefahr der Überschuldung
eines Kreditnehmers – steigt und die Unternehmen deshalb
immer weniger zu investieren bereit sind. Die Ursache einer
Deflation ist in einer Verminderung der Geldmenge zu sehen
oder auch in einer sinkenden Umlaufgeschwindigkeit des
Geldes, wenn also mit Geld keine Nachfrage realisiert, son-
dern es stattdessen gehortet wird. Eine Deflation kann dem-
entsprechend auch entstehen, wenn Vermögenswerte durch
Kredite finanziert wurden, deren Preis- oder Kursverfall in der
Folge zu Überschuldung und dem Zwang zu massenweiser
Rückzahlung der Kredite führt. Das Geld fehlt nun für die
Nachfrage nachWaren und Dienstleitungen. Das – umgangs-
sprachliche – „Platzen“ einer „Spekulationsblase“ bewirkt
schnell eine Deflation, da aus der ungenügenden Nachfrage
ein Beschäftigungsrückgang resultiert. Die Unterbeschäfti-
gung wird nach John Maynard Keynes so lange bestehen
bleiben, bis es zu einer die gesamtwirtschaftliche Nachfrage
erhöhenden Veränderung des Investitions- oder Konsumver-
haltens, der Staatsausgaben oder auch der Geldmenge
kommt. Zur Bekämpfung der Deflation können die für die
Geldpolitik verantwortlichen Zentralbanken neben einer Sen-
kung der Zinsen also die Geldmenge durch Geldschöpfung
erhöhen.
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