Magazin Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 3/13) - page 38

die USA transferierten, dort inDollar umtauschten und die-
se dort zinsbringend anlegten, kämpfte Großbritannien ge-
gen die daraus resultierende Verringerung der Geldmenge.
Abweichend von den Regeln des internationalen Goldstan-
dards, betrieben die USA zudem eine Politik der „Goldste-
rilisierung“: Anstatt also für einen Ausgleich der Goldbe-
stände zwischen den amGoldstandard teilnehmenden Län-
dern zu sorgen, erfolgte eine Hortung des Goldes bei der
amerikanischen
Federal Reserve Bank
, was über den ver-
ringerten Notenumlauf in anderen Ländern deflationäre
Tendenzen förderte, bis dasWeltwährungssystem 1936 end-
gültig zerbrach.
48
Die Börsenkrise
Auslöser der akuten Krise aber war der Börsenkrach an der
New Yorker Aktienbörse. In den USA hatten infolge hoher
Liquidität und niedriger Zinsen bereits 1924 die Aktien-
kurse stark zu steigen begonnen. Ein kaum regulierter Fi-
nanzmarkt ermöglichte es, Aktien beim Kauf nur zum Teil
bar bezahlen zu müssen; auch war es zu einer einzigartigen
Ausweitung des hochspekulativen Termingeschäfts gekom-
men. Die Erträge aus diesen den heutigen Leerverkäufen
ähnlichen Geschäften lagen weit unter den zu zahlenden
Kreditzinsen. Es lockte somit einzig der Gewinn aus jeder-
zeit veräußerbaren Papieren, die zunächst im Wert stiegen,
bis die New Yorker Börse zwischen dem 21. und 29. Okto-
ber 1929 unter der „platzenden Spekulationsblase“ völlig
zusammenbrach. Bei rapide fallenden Kursen bescherten
die nun einsetzenden Aktienverkäufe und der Rückruf von
Krediten privaten Anlegern und Firmen hohe Verluste. In
der Folge kürzten Unternehmen ihre Ausgaben, wodurch
die Industrieproduktion zurückging. Anfang Juli 1932 wa-
ren beispielsweise die Kapazitäten der Stahlunternehmen
nur noch zu zwölf Prozent ausgelastet. Als immer öfter
auch Hypothekenkredite gekündigt wurden, kam es zu
massenweisen Zwangsvollstreckungen, weil Hausbesitzer
keine neuen Darlehen erhielten. Dadurch sanken wiederum
die Immobilienpreise, und die Bautätigkeit ging zurück.
Weil der Börsenkrach einen Wettlauf um Liquidität ausge-
löst hatte, konnte sich vor allem auch die daraus folgende
Krise der Realwirtschaft weltweit fortpflanzen.
Die Finanzkrise
Zu den strukturellen Problemen der 1920er-Jahre zählte
auch der Bankensektor in den USA. Dieser Sektor kann in-
folge einer Vielzahl selbstständiger Institute traditionell als
labil gelten. Streng genommen gab es kein Filialbankensys-
tem, jede Bank agierte lokal und hing deshalb von wenigen
47 Einen kurzen Überblick zur Funktionsweise des Goldstandards bieten Pressler (wie Anm. 6), S. 39-48, sowie: Knortz (wie Anm. 13),
S. 55 f. und S. 228–231.
48 Vgl. hierzu das gesamte Kapitel „Das Scheitern des neuen Goldstandards“ bei: Aldcroft (wie Anm. 13), S. 181-215.
Krisen und Krisenängste. Die Erfahrung der „Großen Depression“ und die Krise der Weltwirtschaft seit 2007
Einsichten und Perspektiven 3 | 13
174
örtlichen Industrien ab. Jeder Kundenansturm konnte eine
Bank wegen des fehlenden finanziellen Rückhalts so schnell
in große Schwierigkeiten bringen, und Bankenzusammen-
brüche waren im amerikanischen Wirtschaftsleben tatsäch-
lich keine Seltenheit: Bereits zwischen 1921 und 1929 hatte
es mehr als 5000 solcher Pleiten gegeben. Auch im Deut-
schen Reich sollte die Instabilität des Bankensektors
schließlich maßgeblich zur internationalen Finanzkrise bei-
tragen. Die Inflation zu Beginn der 1920er-Jahre hatte hier
zu großen Teilen Kapital vernichtet und damit auch das
Bankensystem geschwächt: Das Eigenkapital der deutschen
Banken, das im Fall vermehrter Abhebungen die Zahlungs-
fähigkeit einer Bank bewahren hilft, war im Vergleich zum
zu großen Teilen aus dem Ausland stammenden Fremdka-
pital zu gering. Zudem vergaben die deutschen Kreditinsti-
tute kurzfristige ausländische Kredite ohne Rücksicht auf
Fälligkeiten langfristig. Schon aus geringstem Anlass droh-
te unter diesen Bedingungen eine Bankenkrise, die sich
schnell zu einer Krise des gesamten Finanzsystems auswei-
ten konnte.
Trotz aller Probleme konnten die massenhaften
Abzüge US-amerikanischen Kapitals aus dem Deutschen
Reich infolge des Börsenkrachs noch einigermaßen verkraf-
tet werden. ZumAuslöser der Bankenkrise wurde hier, aber
auch in Ungarn, der Tschechoslowakei, in Rumänien und
Polen die Zahlungsunfähigkeit der größten Geschäftsbank
Österreichs imMai 1931. Obwohl diese später mit Hilfe der
Bank of England
gerettet werden konnte, befürchteten die
internationalen Kapitalanleger für das Deutsche Reich eine
ähnliche Entwicklung und begannen umgehend, auch hier
die fälligen Kredite zurückzurufen, anstatt sie zu verlän-
gern. Der Prozess der seit geraumer Zeit schrumpfenden
Geldmenge beschleunigte sich nun auch noch deshalb, weil
deutsche Banken versuchten, ihre Reserven aufzustocken,
um ihre Zahlungsfähigkeit zu wahren. Indem die Banken
zum Schutz ihrer Liquidität den Geldmarktzins erhöhten
und ihre Kreditvergabe reduzierten, gerieten – zur schnel-
len Kreditrückzahlung gezwungen – selbst als stabil zu
bezeichnende Firmen in Schwierigkeiten, darunter der
Warenhauskonzern Karstadt, der Versicherungskonzern
Nordstern, aber auch der seinerzeit größte europäische Tex-
tilkonzern Nordwolle. Da die Darmstädter und National-
bank (Danat-Bank) ebenso wie die Dresdner Bank der
Nordwolle große Summen geliehen hatten, Anleger nach
der Insolvenz dieses Konzerns also auch die Zahlungsunfä-
higkeit der beiden Banken befürchteten, brach eine weitere
Lawine von Kreditabzügen los. Der Abzug ausländischer
Gelder beschleunigte sich mit der Krise der Realwirtschaft
1...,28,29,30,31,32,33,34,35,36,37 39,40,41,42,43,44,45,46,47,48,...72
Powered by FlippingBook