Magazin Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 3/13) - page 37

Krisen und Krisenängste. Die Erfahrung der „Großen Depression“ und die Krise der Weltwirtschaft seit 2007
Einsichten und Perspektiven 3 | 13
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46 Die hier aufgezeigten Probleme tangieren die Frage des optimalen Währungsraumes. Einen guten Einblick in die Theorie des optimalen
Währungsraumes liefern: Ulrich Baßeler / Jürgen Heinrich / Burkhard Utecht: Grundlagen und Probleme der Volkswirtschaft,
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Stuttgart
2010, S. 622 f.
zehnt – nicht, kommt es über Zahlungsbilanzungleichge-
wichte fast unweigerlich zu Schuldenkrisen.
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Die „Große Krise“ derWeltwirtschaft
1924–1941
Nicht selten wird in der gegenwärtigen Krise der Weltwirt-
schaft vergleichend auf das Jahr 1929 rekurriert. Damit wird
ein Bezug zum 24. Oktober 1929 suggeriert, der den Zu-
sammenbruch der New Yorker Börse einleitete. Das Ende
der sich anschließenden Wirtschaftskrise wird dann nicht
seltenmit dem Jahr 1933 gleichgesetzt. Das ist eine stark ver-
kürzte Perspektive, denn selbst als im Deutschen Reich
– nicht zuletzt infolge von verdeckten Rüstungsmaßnah-
men – 1936 wieder Vollbeschäftigung erreicht worden war,
befand sich dieWirtschaft wichtiger Industrieländer wie der
USA noch immer nicht in einem stabilen Zustand. Im Ge-
genteil kann die Große Depression erst mit dem Eintritt der
USA in den Zweiten Weltkrieg, der damit verbundenen
massiv erhöhten Rüstungsproduktion 1941 und dem hier-
aus folgenden starken Rückgang der Arbeitslosigkeit als
überwunden gelten. Wenn aber erst das Jahr 1941 den End-
punkt der Großen Depression markiert, so lassen sich auch
gute Gründe dafür finden, ihre Vorgeschichte bereits mit
dem Jahr 1924, dem Jahr des Inkrafttretens des Dawes-
Plans, beginnen zu lassen, mit dem Schritte zur Lösung der
Reparationsfrage eingeschlagen wurden.
Die Staatsschuldenkrise der 1920er-Jahre
Um die Reparationszahlungen tatsächlich erwirtschaften
und die hieraus resultierenden Devisen an die Gläubiger
transferieren zu können, hätten besonders die Siegermäch-
te des Ersten Weltkrieges verstärkt deutsche Exporte auf-
nehmen und in ihrer eigenen Währung zahlen müssen. Der
Schutz der eigenen Märkte, vor allem der Protektionismus
der USA, verhinderte dies aber, so dass das Deutsche Reich
seine Reparationszahlungen nur mit Hilfe von Kreditauf-
nahmen leisten konnte. Entgegen der Intention des Dawes-
Plans stammten die transferierten Devisen deshalb aus aus-
ländischen, vorwiegend US-amerikanischen Krediten, mit
denen sich das Deutsche Reich bis zur Zahlungsunfähigkeit
verschuldete. Die insgesamt 28 Empfängerstaaten der Re-
parationen, unter ihnen Großbritannien und Frankreich,
waren wiederum auf die deutschen Zahlungen angewiesen,
da sie sich ihrerseits zum Zwecke der Kriegsführung be-
sonders in den USA verschuldet hatten. Außerdem waren
von Großbritannien selbst wiederum Kredite vergeben
worden, so dass die Reparationen zusammen mit den zu be-
dienenden Krediten der Alliierten ein kompliziertes System
gegenseitiger Forderungen und Schulden bildeten.
Die chronische Krise desWeltwährungssystems
Zu der Staatsschuldenkrise kam in den 1920er-Jahren eine
chronische Währungskrise, die zu großen Teilen aus den
massiven Ungleichgewichten im internationalen Handel re-
sultierte. Das seinerzeitige Weltwährungssystem beruhte
auf dem Golddevisenstandard, in dem eine Golddeckungs-
pflicht für die ausgegebenen Banknoten bestand und sich
der Wert einer Währungseinheit in Feingold ausdrückte.
Auf dieser Basis wurden wiederum die Wechselkurse aller
am Goldstandard teilnehmenden Währungen ermittelt, die
damit dauerhaft und fest waren. Dennoch kann es in einem
System mit festen Wechselkursen vorkommen, dass der
festgesetzte Wechselkurs einer Währung nicht dem Wech-
selkurs entspricht, der sich auf einem freien Markt bilden
würde, was Eingriffe der Zentralbank nach sich zieht.
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Sol-
ches geschah tatsächlich, beispielsweise entsprach das briti-
sche Pfund mit 7,18 g Gold nicht mehr dem Wert, den die
Wirtschaftsakteure ihm beimaßen. Weil Besitzer der briti-
schenWährung ihr Geld deshalb in Gold eintauschten, es in
Der Dawes-Plan
Der nach dem amerikanischen Bankier Charles Dawes (als
Leiter eines amerikanisch-britischen Sachverständigenrates)
benannte Plan ging davon aus, dass das Deutsche Reich die
imVersailler Vertrag festgelegten Reparationszahlungen nur
unter der Voraussetzung seiner wirtschaftlichen Erholung und
einer aktiven Handelsbilanz leisten könne. Auf dieser Grund-
lage wurde am 16. August 1924 auf der Londoner Reparati-
onskonferenz eine neue Regelung der Reparationszahlungen
beschlossen. Neben weiteren Bestimmungen sollte das Reich
demnach pro Jahr zunächst eine Milliarde, nach fünf Jahren
2,5 Milliarden Goldmark zahlen – vorbehaltlich einer Ab-
schlusszahlung, deren Höhe und Zeitpunkt nicht genau fest-
gesetzt wurden. Gleichzeitig erhielt das Reich eine Anschubfi-
nanzierung in Form eines 800-Millionen-Goldmark-Kredits.
Die Kredite übertrafen in den Jahren 1924 bis 1931 die Höhe
der Reparationen um fast das Doppelte. Dieser Modus eröff-
nete den demokratischen Politikern der Weimarer Republik
– verknüpft mit alliierten Zusagen, die im Januar 1923 er-
folgte Besetzung von Gebieten (insbesondere des Ruhrgebie-
tes) zurückzunehmen – zunächst eine gewisse Erleichterung
gegenüber den radikalen politischen Kräften, die von links
wie rechts gegen die Republik agitierten
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