Magazin Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 3/13) - page 36

zum BIP im Gegensatz zu knapp 94 Prozent in der Euro-
zone)
38
. Zu allem treten Bilder von bürgerkriegsähnlichen
Zuständen vorwiegend aus Athen, aber auch von Gewalt-
exzessen während Demonstrationen in Madrid, Barcelona,
Rom oder Lissabon.
Die aus der US-amerikanischen Immobilienkrise
erwachsene Finanz- und Wirtschaftskrise droht sich in ei-
nigen Fällen (Griechenland, Italien, Portugal) auch immer
wieder zu einer Krise des politischen Systems, zu einer
Staatskrise, zu entwickeln, beispielsweise wenn sich nach
Wahlen keine regierungsfähige Mehrheit finden lässt. Der
aus unterschiedlichen nationalstaatlichen und nationalwirt-
schaftlichen Interessen resultierende Streit über eine ein-
heitliche europäische Wirtschaftspolitik ließ Altbundes-
kanzler Helmut Schmidt darüber hinaus schon vor längerer
Zeit von einer Krise der Europäischen Union sprechen.
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Vor allem aber hat die aus finanzieller Solidarität einerseits
und verordnetem Sparen andererseits bestehende Politik es
gegenwärtig immer noch nicht vermocht, die Probleme des
europäischen Bankensystems grundlegend zu lösen. Gefan-
gen in einem Netz gegenseitiger Abhängigkeiten – bei Aus-
bruch der Bankenkrise bestanden 40 Prozent der Verbind-
lichkeiten bei Banken aus Interbankenverbindlichkeiten
40
und geprägt von gegenseitigem Misstrauen, leihen sich die
Banken seit einigen Jahren gegenseitig kein Geld mehr.
Dabei ist laut Wirtschaftshistoriker Kevin O’Rourke die
„wichtigste Erkenntnis aus dem Jahr 1931 […], dass jede be-
ginnende Erholung gleich wieder von Bankenkrisen getötet
wurde“.
41
Die chronische Krise des gegenwärtigen
Weltwährungssystems
In Anbetracht all der akuten Symptome gerät leicht aus dem
Blick, dass sich das gegenwärtige Weltwährungssystem in
einem chronischen Ungleichgewicht befindet, das im Zu-
sammenhang mit dem internationalen Waren- und Kapital-
verkehr steht. Im Zentrum dieser Schieflage steht das US-
amerikanische Leistungsbilanzdefizit: Der Wert der Impor-
te übersteigt den Wert der Exporte der USA seit Langem.
Zugleich übersteigen die öffentlichen Ausgaben die Ein-
38 Vgl.
39 Vgl. Helmut Schmidt: … aber die Währung ist gut, in: Die Zeit, Nr. 19 vom 5. Mai 2011.
40 Vgl. Reiner Brüggestraat: Zurück zur Realwirtschaft, in: Die Zeit, Nr. 33 vom 8. August 2013.
41 Thomas Fischermann: Die unterschätzte Gefahr, in: Die Zeit, Nr. 34 vom 13. August 2009.
42 Marc Brost / Mark Schieritz: Schuld sind sie alle, in: Die Zeit, Nr. 47 vom 13. November 2008.
43 Vgl. hierzu insgesamt: Eckart Koch: Internationale Wirtschaftsbeziehungen,
3
München 2006, S. 282–299.
44
/
45 Hierbei handelt es sich um eine gewichtete Zusammenfassung der Währungen von Chinas zehn wichtigsten Handelspartnern. Zu Chinas
Währungspolitik vgl. insgesamt Martina Franke: Chinas Währungspolitik in der Kritik des US-amerikanischen und des internationalen
Wirtschaftsrechts, Halle 2008 (= Beiträge zum transnationalen Wirtschaftsrecht, Heft 77).
Krisen und Krisenängste. Die Erfahrung der „Großen Depression“ und die Krise der Weltwirtschaft seit 2007
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nahmen anhaltend bei Weitem, so dass eine hohe staatliche
Kreditnachfrage besteht. Zur Finanzierung ihres „Zwil-
lingsdefizits“ (Leistungsbilanzdefizit und Haushaltsdefizit)
sind die USA also auf den Import von Kapital angewiesen.
Die US-Hypothekenkrise hat gerade gezeigt, dass solche
Ungleichgewichte in dem Land, das die Kapitalströme auf-
nimmt, fast immer „zu einer spekulativen Blase [führen], die
dann spektakulär platzt“.
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Es gibt aber noch verschiedene
weitere Szenarien, die ernsthafte Folgen für die Weltwirt-
schaft nach sich ziehen könnten.
43
Deshalb wurde die unge-
wisse Entwicklung der US-Leistungsbilanz bereits vor Be-
ginn der gegenwärtigen Krise als die „derzeit bedrohlichste
Erscheinung in der Weltwirtschaft“ beurteilt.
44
Umgekehrt
verhält es sich im Fall Chinas, das den Wechselkurs seiner
Währung an einen Währungskorb
45
bindet. Damit handelt
es sich um einen festen, derzeit aber erheblich unterbewer-
teten Wechselkurs, was dem Land Kostenvorteile ver-
schafft, so dass aus dem internationalen Handel in großem
Umfang Devisen in das Land gespült werden. Da sich die
Effekte bei Chinas Handelspartnern gegenteilig auswirken,
scheint ein „Währungskrieg“ wie in den 1930er-Jahren trotz
Einschaltung des IWF nicht ausgeschlossen, zumal auch die
japanische Zentralbank seit ein paar Monaten offensiv ge-
gen den hohen Wechselkurs des Yen vorgeht.
Und auch die Eurozone bereitet insofern Sorge,
als die gegenwärtige Staatsschuldenkrise einiger Mitglieds-
länder die strukturellen Mängel des europäischen Wäh-
rungsraums offenlegt. Denn für die amEuro teilnehmenden
Länder bedeutet die Teilnahme an der Währungsunion
nicht nur den Verlust der nationalen Währung, sondern da-
mit verbunden auch den Verlust des nationalen Wechsel-
kurses als wirtschaftspolitisches Anpassungsinstrument.
Man kann sich die Eurozone also als einen Währungsraum
mit festen Wechselkursen vorstellen. Abwertungen, um da-
mit beispielsweise griechische Waren gegenüber europäi-
schen Konkurrenzprodukten billiger anbieten zu können,
sind in diesem System nicht möglich. Innerhalb der Euro-
zone können Kostenvorteile nur noch durch „flexible Löh-
ne und Preise“ oder ein „leistungsfähiges Transfersystem“
erzielt werden; geschieht dies – wie im vergangenen Jahr-
1...,26,27,28,29,30,31,32,33,34,35 37,38,39,40,41,42,43,44,45,46,...72
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