Magazin Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 3/13) - page 26

Tweet des Regierungssprechers Steffen Seibert mit weiterführen-
dem Link zum Podcast, daneben der „Follow-Button“
Screenshot:
vom 20.09.13
mit einer starken Polarisierung, die Notwendigkeit des in-
dividuellen Fundraisings, die wachsende Bedeutung der
Vorwahlen, ein in der Bevölkerung weitverbreitetes Desin-
teresse an Wahlen, das kommerzielle Mediensystem, aber
auch gesetzliche Regelungen (z. B. Beschränkungen für
Wahlwerbung, Datenschutz) spielen eine Rolle und führen
dazu, dass US-Wahlkämpfe ihren Beobachtern bestenfalls
als Inspiration dienen können, jedes Land aber seine eige-
nen Rahmenbedingungen für die Wahlkampfführung hat.
Andererseits stellt die gesellschaftliche Moderni-
sierung die Politik überall in der westlichen Welt vor
ähnliche Herausforderungen. Es ist schwer geworden, die
Wählerinnen undWähler mit politischen Botschaften zu er-
reichen; die Wählerschaft hat sich differenziert, ist unbere-
chenbar geworden, muss mobilisiert werden, bevor an
Stimmenwerbung zu denken ist. Die neuen Möglichkeiten
zur personalisierten Wahlkampfkommunikation kommen
dieser Entwicklung entgegen, damit schiebt sich jedoch
endgültig die Markt- vor die Produktorientierung. Schließ-
lich muss die Politik die Veränderungen im Nutzungsver-
halten des Medienpublikums nachvollziehen und sich die
neuerdings attraktiveren Kommunikationskanäle zunutze
machen. Die Erfahrungen aus den USA können dabei hilf-
reich sein.
Es geht heute nicht mehr ohne. Internet, soziale
Netzwerke, Twitter müssen sein. Das gilt nicht nur für
Wahlkämpfe, sondern ebenso für die alltägliche politische
Kommunikation. Jede Website weist heute die Logos von
Facebook und Co. auf, jede Politikerin und jeder Politiker
hat eine eigene Website. Die Parteien füttern Youtube-Ka-
näle, die Bundeskanzlerin präsentiert ihren wöchentlichen
Internet, Facebook, Twitter & Co.
Einsichten und Perspektiven 3 | 13
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Podcast und initiiert einen Zukunftsdialog via Internet. Der
deutsche Regierungssprecher twittert. Vor allem das Enga-
gement imWeb 2.0 ist zu einemAusweis der Modernität ge-
worden, die Zahl der Freunde und Follower ein Indikator
für Popularität, der Kandidaten und Parteien aber auch
schon in Manipulationsverdacht durch gekaufte Freunde
gebracht hat.
Ebenso wie der Parteivorsitzende der deutschen
Sozialdemokraten, der mit seinem „Twitterview“
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während
der Elternzeit Furore gemacht hat, haben die Politikerinnen
und Politiker erkannt, dass ihnen die Entwicklung digitaler
Kommunikationsmittel vielseitige Möglichkeiten für den
unmittelbarenDialog mit den Bürgerinnen und Bürgern be-
schert hat. Diese Instrumente machen sie unabhängiger von
den klassischen Massenmedien, deren Verarbeitungsrouti-
nen das Risiko der Veränderung und der Kürzung mit sich
bringen, sie müssen dann aber auch auf deren Glaubwür-
digkeit verzichten, die denWerbecharakter ihrer politischen
Botschaften in den Hintergrund treten lässt. Die extensive
direkte Kommunikation mit ihrer Wählerschaft nimmt die
politischen Akteure indessen insofern stärker in die Pflicht,
als Internetseiten und erst recht Auftritte in sozialen Netz-
werken und Twitter der permanenten Pflege und Aktuali-
sierung bedürfen, um in der Netzgemeinde akzeptiert zu
werden. Nicht umsonst hat sich auch im US-Wahlkampf
herausgestellt, dass die Dialogmöglichkeiten des Web 2.0
nur wenig genutzt wurden; Kommentare von Seiten der
Empfänger führten kaum zu abermaligen Reaktionen.
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„Jetzt ist der Kaffee alle [...] und Mariechen hat
Hunger“, so beendete Sigmar Gabriel seine Fragestunde via
Twitter.
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Ihm war gelungen, auf die Ferne Nähe herzustel-
len, politische Statements mit einem privaten Touch zu ver-
binden und so zu demonstrieren, was sich mit den neuen
Kommunikationsmöglichkeiten so alles machen lässt. Der
Neuigkeitswert seiner Aktion hat ihm Aufmerksamkeit ge-
bracht; mit der Zeit wird die Gewöhnung dazu führen, dass
die digitalen Instrumente Aufmerksamkeit nicht garantie-
ren, sondern ebensolcher Strategien bedürfen wie die Ver-
mittlung politischer Botschaften über die alten Medien.
Dieser Aufsatz wurde erstmals veröffentlicht unter dem Ti-
tel
Web 2.0: nuevos desafíos en comunicación política, in:
Diálogo Político. Publicación trimestral de la Konrad-Ade-
nauer-Stiftung A. C.
1/2013, S. 11–27.
23 Florian Gathmann: SPD-Chef Gabriel im Twitterview vom 27. Juli 2012: „Jetzt ist der Kaffee alle“, Spiegel online,
[Stand:
2. Februar 2013].
24 Vgl. Pew Research Center (wie Anm. 11).
25 Gathmann (wie Anm. 23).
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