Magazin Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 3/13) - page 46

Der britische Premierminister
Winston Churchill malt den
Hafen von Camara de Lobos.
Foto: ullstein bild, Fotograf:
Roger-Viollet
Alan S. Milward die Anfänge der westeuropäischen Inte-
gration auch als „European Rescue of the Nation State“
1
be-
zeichnet. In diesem Sinne kann die OEEC auch als Hilfe für
die Realisierung westeuropäischer Renationalisierungsam-
bitionen verstanden werden.
Der Europarat als beratendes Gremium 1949
Zwei Jahre vor der OEEC-Gründung, am 19. September
1946, hatte der viel gepriesene britische StaatsmannWinston
Churchill in seiner Züricher Rede im Münsterhof der Uni-
versität „die Schaffung der Vereinigten Staaten von Europa“
vorgeschlagen – allerdings ohne Großbritannien. „Vereint
Euch“, nicht aber „Vereinigen wir uns“, lautete die Parole
Churchills, der kein großer Europäer war; seine historische
Bedeutung für die Einigung des Kontinents muss ambiva-
lent bewertet werden.
2
1 Alan Milward: The European Rescue of the Nation State, London 1993.
2 Erinnert sei in diesem Zusammenhang an das berüchtigte Prozentabkommen mit Stalin zur Aufteilung der Interessensphären in Südosteu-
ropa vom Oktober 1944 (Rumänien zu 90 Prozent und Bulgarien zu 75 Prozent sollten sowjetisch, Griechenland zu 90 Prozent britisch
sowie Jugoslawien und Ungarn 50 zu 50 Prozent zwischen London und Moskau aufgeteilt werden!) – ohne Kenntnis und Zustimmung des
US-Präsidenten Roosevelt.
Die Rationalität der Etappen europäischer Integration 1939–2013
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Als es an die Wiederaufbauarbeit ging, war Churchill in der
Opposition und agierte als Kalter Krieger. Er erkannte we-
der rechtzeitig, dass Großbritannien nur mehr ein Objekt
US-amerikanischer Europapolitik war, noch, dass es sich
nicht weiter von Europa ausschließen konnte, ohne gegen-
über der Integration Westeuropas ins Hintertreffen zu ge-
raten. Die Züricher Rede war für viele Europäer jedoch ein
Hoffnungsschimmer sowie Geste und Impuls zur Annähe-
rung zwischen Frankreich und Deutschland, was psycholo-
gisch bedeutsamwar. Diese für die weitere Entwicklung (im
Unterschied zur „Achse“ Berlin–Rom) so notwendige
„Achse“ Bonn–Paris wäre aber auch ohne Churchills Rede
zustande gekommen, weil sie alternativlos war und beider-
seits des Rheins angesichts angloamerikanischer „Bevor-
mundung“ und Dominanz auch aus rationalen Überlegun-
gen als zielführend empfunden wurde.
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