Magazin Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 3/13) - page 52

Europawahlen in Deutschland
1979–2009
Abbildung: Bergmoser + Höller
Urteilen eine wichtige Rolle bei der Ausweitung des ge-
meinsamen Rechtsbestandes („
acquis communautaire
“) ge-
spielt.
Am 1. Dezember 1975 beschloss der zwei- bis drei-
mal jährlich außerverfassungsmäßige, das heißt „oberhalb“
der EG informell tagende und aus den Staats- und Regie-
rungschefs bestehende Europäische Rat (ER) in Rom die di-
rekte und unmittelbare Wahl der Abgeordneten zum Euro-
päischen Parlament. Nun rang sich die Gemeinschaft durch,
die bereits in den Römischen Verträgen in Aussicht gestell-
te Entscheidung zu treffen, womit eine partielle Demokra-
tisierung einsetzte. Vom 7. bis 10. Juni 1979 wählten die
Bürger der neun EG-Mitgliedsstaaten zum ersten Mal die
Abgeordneten in allgemeiner und direkter Wahl. Die Sozi-
aldemokratische Partei Europas (SPE) und die christlich-
demokratische Europäischen Volkspartei (EVP) waren die
hauptsächlichen Gewinner. Die bescheidenen Befugnisse
des Parlaments fanden zunächst ihren Ausdruck in den li-
mitierten Beeinflussungsmöglichkeiten in den zentralen
EG-Entscheidungsbereichen (Agrar- und Handelspolitik).
Die Mandatare scheuten in Haushaltsfragen und beim Ge-
setzgebungsverfahren aber nicht vor Auseinandersetzun-
gen mit dem Rat zurück und befassten den EuGH mit ih-
ren Anliegen.
EuropäischesWährungssystem (EWS)
und „Süderweiterung“
Die wirtschaftspolitischen Zielsetzungen von Anfang der
1970er-Jahre blieben aktuell. Vom 9. bis 10. März 1979 tag-
te der Europäische Rat in Paris und setzte das in Bremen im
Die Rationalität der Etappen europäischer Integration 1939–2013
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Vorjahr bereits vorgedachte Europäische Währungssystem
(EWS) in Kraft. Es basierte auf vier Grundelementen: einer
europäischen Währungseinheit, der
European Currency
Unit
(ECU), einemWechselkurs- und Interventionsmecha-
nismus sowie Kredit- und Transfermechanismen. Großbri-
tannien beteiligte sich nicht vollständig am EWS, welches
von einer entsprechenden Konvergenz der Wirtschaftspoli-
tik der Mitgliedsstaaten getragen sein musste und ferner die
Stützung des wirtschaftlichen Potenzials weniger wohlha-
bender Länder der EG voraussetzte. Das EWS war einWerk
von Deutschlands Bundeskanzler Helmut Schmidt und
Frankreichs Staatspräsident Valéry Giscard d’Estaing, der
Achse Bonn–Paris, und eine höchst politische wie rationale
Entscheidung nach der Aufgabe des Goldstandards zur bis-
herigen Deckung des Dollars und vor demHintergrund des
vom Verfall der US-Leitwährung erschütterten internatio-
nalen Währungssystems.
Nachdem Griechenland (1975), Portugal und Spa-
nien (1977) Anträge auf EG-Vollmitgliedschaft gestellt hat-
ten, war die EG angesichts der noch nicht realisierten Ver-
tiefungsabsichten mit neuen Erweiterungswünschen kon-
frontiert. Alle drei Länder hatten sich erst seit Kurzem mit
demokratischen Verhältnissen angefreundet, sollten aber
wegen ihrer Entwicklungsunterschiede die EG vor eine
Reihe neuer Probleme stellen, nicht nur finanzieller Natur,
sondern auch hinsichtlich des reibungslosen Funktionie-
rens der EG-Organe. Aber auch innergemeinschaftlicher
Demokratiebedarf blieb gegeben. Nachdem die Verhand-
lungen im Juli 1976 offiziell begonnen hatten, konnten am
28. Mai 1979 Griechenland und die EG in Athen den Bei-
1...,42,43,44,45,46,47,48,49,50,51 53,54,55,56,57,58,59,60,61,62,...72
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