Magazin Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 3/13) - page 56

zesten und unkompliziertesten Beitrittsverhandlungen in
der Geschichte der Gemeinschaft der EU bei, während die
norwegische Bevölkerung erneut ablehnte.
Einführung des Euro, sicherheitspolitische
Agonie, Vertrag von Nizza, „Osterweite-
rung“, „Verfassungsvertrag“ und „Südost-
erweiterung“ 1997–2007
Die Einführung des „Euro“ 1999–2002
Maastricht gab einen Fahrplan für die Integration bis zum
Ende des 20. Jahrhunderts vor, während der am 2. Oktober
1997 unterzeichnete Amsterdamer Vertrag konkrete Schrit-
te einzuleiten versuchte, um die EU „bürgernäher“ zu ge-
stalten und die „europäische Identität“ nach innen wie nach
außen zu stärken. Er setzte dort an, wo mit der Weiterent-
wicklung der vertraglichen Grundlagen der EG (EEA, in
Kraft 1987, und Maastricht, in Kraft 1993) begonnen wor-
den war, und schrieb sie weiter fort. Der Amsterdamer
Vertrag bezog die Schengen-Vereinbarungen (Wegfall der
Binnen-Grenzkontrollen bei Verstärkung der EU-Außen-
grenzen) in das EU-Rechtssystem mit ein und änderte be-
ziehungsweise ergänzte die beiden europäischen Hauptver-
träge (EGKS, EWG) sowie den Unionsvertrag von Maas-
tricht, auf denen die Gemeinschaftskonstruktion fußte.
Daneben wurde der „Stabilitätspakt“ für die Wahrung der
Haushaltsdisziplin in der „WWU“ verabschiedet. Dadurch
konnte der Euro fristgerecht mit 1. Januar 1999 eingeführt
werden. Zwölf Staaten gehörten fortan der Eurozone an
(Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Irland, Ita-
lien, Luxemburg, die Niederlande, Österreich, Portugal
und Spanien führten den Euro als offizielle Buchgeld-Wäh-
rung ein – Griechenland folgte trotz fehlender ökonomi-
scher Grundlage im Jahr 2000, was sich zehn Jahre später als
folgenschwerer, ja verhängnisvoller Fehler erweisen sollte).
2002 wurde der Euro als realeWährung inUmlauf gebracht.
Der Ausbau der Sozial- und Beschäftigungspolitik und die
Schaffung neuer Arbeitsplätze blieben ein nur wenig reali-
siertes Anliegen. Durch ergänzende Beschlüsse der folgen-
den Ratstreffen wurden kleinere Teilerfolge erzielt. Von der
Struktur blieb es bei dem in Maastricht festgelegten Drei-
Säulen-Modell: Die
erste Säule
umfasste die supranationale
Dimension mit dem EU-Vertrag und den erweiterten Be-
reichen (WWU, Sozialpolitik, Beschäftigung, berufliche
Ausbildung und dergleichen), die
zweite Säule
betraf die in-
tergouvernementale GASP, ausgestattet mit einem Hohen
Repräsentanten (Ex-NATO-Generalsekretär Javier Solana)
und der Übernahme der „Petersberg-Aufgaben“ der WEU,
welche neben friedenschaffenden Maßnahmen auch „mili-
tärische Kampfeinsätze“ vorsahen; die
dritte Säule
beinhal-
tete die seinerzeit noch intergouvernementalen Bereiche der
Justiz und des Inneren, die im Zuge des 11. September 2001
Die Rationalität der Etappen europäischer Integration 1939–2013
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Vergemeinschaftungstendenzen erfuhren (beispielweise ein
europaweiter Haftbefehl undKoordination in Bezug auf die
Terrorismusbekämpfung).
Die größte Erweiterung in der Einigungsgeschichte
1998–2004/07
Der Vertrag von Amsterdam 1997 (1999 in Kraft getreten)
wies bereits den Weg für die Erweiterung. Am 12. Dezem-
ber 1997 leitete der Europäische Rat in Luxemburg den Bei-
trittsprozess mit den mittel-osteuropäischen (MOE-)Staa-
ten und Zypern ein, der am 30. März 1998 zu Verhandlun-
gen mit einer ersten Gruppe von Beitrittsbewerbern (Polen,
Ungarn, Tschechien, Estland und Slowenien) führte. Der
Europäische Rat in Helsinki beschloss am 10. Dezember
1999, die Verhandlungen um eine zweite Gruppe (Bulga-
rien, Lettland, Litauen, Malta, Rumänien und die Slowakei)
zu erweitern, die mit dem 15. Februar 2000 begannen. Mit
Blick auf die bevorstehende Erweiterung stellten die Aus-
führungen des Amsterdamer Vertrages über die „verstärkte
Zusammenarbeit“ („Flexibilität“) ein Novum dar: Das „op-
ting out“ (das Sich-Ausschließen), welches bisher als inte-
grationspolitische Sünde galt, wurde nun zu einer zulässi-
gen alternativen Option – ein integrationspolitischer Para-
digmenwechsel setzte ein. Damit war ein traditionelles
europapolitisches Ziel Großbritanniens erreicht: Die Er-
weiterung bekam klare Priorität vor der Vertiefung – oder
anders formuliert: Die Erweiterung ging immer stärker zu
Lasten der Vertiefung, die damit auf Eis gelegt werden soll-
te. Größere qualitative Integrationssprünge waren nach
Einführung des Euro auch kaum mehr zu erwarten.
Ohnmächtige Sicherheitspolitik
Auf dem Europäischen Rat in Köln wurden im Juni 1999
Beschlüsse zur Stärkung der GASP sowie zu einer Gemein-
samen Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik
(GESVP) gefasst, die Voraussetzungen für die Übernahme
sicherheits- und verteidigungspolitischer Aufgaben durch
die EU komplementär zur NATO schuf, was durch Über-
nahme der Aufgaben der WEU und die Quasi-Verschmel-
zung von EU und WEU bewirkt werden sollte. Die sicher-
heitspolitische Agonie der EU blieb jedoch bestehen, was
im „Kosovokrieg“ 1999, im Zuge des 11. September 2001
und der Afghanistan-Invasion sowie in der Irakkrise
2002–03 und imLibyen-Konflikt 2011 deutlich wurde. EU-
Europa war zwar imBegriff, eine Verteidigungsagentur auf-
zubauen, von dem von den USA geforderten „
burden
sharing
“ ist es jedoch noch sehr weit entfernt. Die EU ist
willens zur Verteidigung, jedoch nicht zum Angriff bereit,
wie sie auch strukturell nicht angriffsfähig ist, was ihren
Wert als Friedensprojekt und ihre Bedeutung als Aus-
gleichs- und Stabilitätsfaktor sowie als Rechtsexporteur un-
terstreicht.
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