Inklusion an Schulen in Bayern: Infomationen für Beratungslehrkräfte und Schulpsychologen - page 30

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Bildhaft formuliert sieht die Beratungsfachkraft sich als Zentrum eines Inklusionsprozesses. In Abgrenzung zum „case
manager“, der im Bereich des Gesundheitswesens an Schnittstellen über einen gesamten Behandlungsverlauf hinweg die
Interessen des Patienten gegenüber Ärzten, Therapeuten, Sozialdiensten etc. vertritt und Mängel in den Abläufen zu mini
mieren versucht, ist die Beratungsfachkraft hier stärker als neutraler, allparteilicher, eher koordinierender und vermittelnder
Knoten zu sehen: Sie sammelt Informationen verschiedener Stellen und gibt diese bedarfsorientiert weiter.
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4.1.6 Praxisbeispiel:Teambildung
Andreas besucht eine 5. Jahrgangsstufe eines privaten Förderzentrums, Förderschwerpunkt emotionale und
soziale Entwicklung. Neben einer ausgeprägten Redeflussstörungs-Symptomatik ist Andreas durch eine
hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens und ein Asperger-Syndrom belastet. Die inklusive Eingliederung
in einen Regelkindergarten scheiterte. Bereits seit der 1. Jahrgangsstufe ist Andreas Schüler des Förderzentrums mit
Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung. Seit der 3. Jahrgangsstufe wird Andreas von einer Schulbeglei
tung (siehe 2.3.4) – finanziert vom Amt für Jugend und Familie – in allen Unterrichtsstunden unterstützt. Eine Reduktion
der Begleitung wird diskutiert. Die Schulbegleitung hat eine fachspezifische Ausbildung, was nicht selbstverständlich ist,
und ist mit der Lehrkraft und den Erziehungsberechtigten im guten Austausch. Bei Andreas sind große Entwicklungsfort
schritte in der 5. Jahrgangsstufe zu beobachten. Mit Beginn der Mittelschulstufe kann er seine gute Begabung, diagnos
tiziert durch eine kinder- und jugendpsychiatrische Praxis und bestätigt durch das sonderpädagogische Gutachten, mehr
nutzen und ausschöpfen. Die Klassenlehrkraft bescheinigt ihm in allen Fächern (Unterricht nach dem Lehrplan der Mittel
schule) gute bis sehr gute Leistungen. Sie überlegt, den Erziehungsberechtigen eine Beschulung in einer Mittelschule
mit dem Ziel, den mittleren Schulabschluss zu erwerben, vorzuschlagen. Die ausgeprägte Redeflussstörung von Andreas
und seine Verhaltensauffälligkeiten und Unsicherheiten im sozialen Kontakt lassen sie zögern. Deswegen wendet sie
sich in Absprache mit den Erziehungsberechtigten an den zuständigen Schulpsychologen des Förderzentrums.
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1. Schritt: Klärung der Frage, ob Andreas trotz seiner unterschiedlichen Symptomatiken und Belastungen die Mittelschule
besuchen kann
Der Schulpsychologe ist der Überzeugung, dass er den Auftrag, einen guten schulischen Weg für Andreas zu finden, nur
annehmen und erfüllen kann, wenn er auf eine transparente Weise die möglichen Kooperationspartner im Sinne eines Netz
werkes einbezieht und zudem nicht alleine, sondern im Team mit dem Schulpsychologen der weiterführenden Schule
handelt. Nur so können die Besonderheiten der anderen Schulart von Anfang an mitgedacht werden. Zudem geht er von
einem ergebnisoffenen Prozess aus, in dem die einzelnen Schritte aufeinander folgen und das Kind mit seinen Bedürfnissen
und Möglichkeiten immer wieder in den Blick genommen werden muss. In der Beratung möchte er Fragestellungen, die sich
aus den Übergängen ergeben, in den Mittelpunkt stellen und möglichen Konflikten durch eine professionelle Kommunikation
vorbeugen.
Um zu einer differenzierten Einschätzung zu kommen, werden von dem Schulpsychologen Gespräche mit Andreas, der Klas
senlehrkraft, der Schulbegleitung, den Erziehungsberechtigten und dem behandelnden Kinder- und Jugendpsychiater geführt.
Andreas ist teilweise nur schwer zu verstehen. Er signalisiert deutlich, dass er selbst einen Schulwechsel herbeisehne. Es
sei ihm langweilig und sein größter Wunsch sei es, eine „normale Schule“, eventuell auch ohne Schulbegleitung, zu besuchen.
Die Einschätzung der Schulbegleitung ist, dass sie einen Besuch in einer Regelschule nur mit einer weitergehenden Beglei
tung für denkbar hält. Die Sichtung der vorliegenden Unterlagen zur Begabungsstruktur und eine ergänzende Lernstands
diagnostik ergibt eine abgesicherte Einschätzung, dass der Besuch einer Mittelschule gut vorstellbar ist. Diese wird von dem
Kinder- und Jugendpsychiater bestätigt, der einen erfolgreichen Weg Andreas’ an die Mittelschule bei guter Vorbereitung
und Begleitung für möglich hält.
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In einem ersten „Runden Tisch“, zu dem zusätzlich zu den schon genannten Personen auch die Schulleitung und der Sach
bearbeiter des Amtes für Jugend und Familie hinzukommen, wird vereinbart, dass der Schulpsychologe mit seinem Kollegen
aus dem Mittelschulbereich Kontakt aufnimmt. Die Erziehungsberechtigten wollen sich bei dem weiteren Prozess noch im
Hintergrund halten, da sie in Sorge davor sind, von einer Ablehnung enttäuscht zu werden.
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