Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel - page 67

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Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel
einem allgemeinen Sinn bspw. einem abstrakten kapitalistischen System zuzuschreiben, sondern
Kritik an konkrete Institutionen zu richten, als Möglichkeit erweist, eigene Handlungsspielräume zu
erkennen und zu nutzen.
Terpe (vgl. 2011 79ff.) erklärt weiter, dass mit ihren bisherigen Ausführungen zwar individueller Wi-
derstand beschrieben werden kann, obwohl auch dann noch die persönliche Einschätzung der eige-
nen Machtmöglichkeiten hinzukommen muss. Eine kollektive Mobilisierung von Menschen kann da-
mit jedoch noch nicht ausreichend erklärt werden. Dafür muss noch ein weiteres Moment– in Form
eines besonderen Ereignisses – hinzukommen. Besondere Ereignisse tragen das Potenzial in sich, die
Aufmerksamkeit vieler in eine bestimmte Richtung zu lenken, ein bestimmtes Problem zu fokussieren
und damit die Routinen des Alltags zu durchbrechen und zu einer Mobilisierung der Massen beizu-
tragen. Mit Bezug auf Collins (vgl. 2004) führt die Autorin aus, dass
diese Ereignisse als Gegenstand
von privaten und öffentlichen Diskussionen gemeinsame Interaktionsrituale erzeugen, in denen sich
die kognitive und emotionale Ausrichtung vieler Menschen aufeinander abstimmt“ (Terpe 2011,
79f.). Terpe (vgl. 2011, 82) zufolge ist es jedoch mitunter schwierig für eine Gruppierung ein solches
Ereignis abzuwarten oder selbst zu erzeugen. Sie nennt mit Bezug auf Schäfer und Witte (vgl. 2007,
224) als Beispiel die von globalisierungskritischen Gruppen genutzten regelmäßig stattfindenden
internationalen Gipfeltreffen als besondere Ereignisse, die damit aber Gefahr laufen, dass der Protest
selbst zum Ritual, und damit zur Normalität wird.
Auf das Motiv des „Protests gegen Ungerechtigkeit“ für Engagement und Protest verweisen u.a.
Schäfer/ Möller (2011, 169ff.). Im Rahmen eines Forschungsprojekts mit dem Fokus auf jugendliche
Globalisierungskritiker haben sie u.a. die Motivation zur Teilnahme an Protestaktionen und Demonst-
rationen gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm im Jahre 2007 untersucht. Insgesamt haben sie 3578
Jugendliche zwischen 15 und 24 Jahren mittels eines Fragebogens nach ihren Motiven zur Teilnahme
an Protestaktionen, den Formen ihres Engagements und ihrem soziodemographischen Hintergrund
befragt. Als Ergebnis halten sie u.a. fest, dass für 87,5% der Jugendlichen das Motiv sich zu engagie-
ren und zu protestieren der Protest gegen Ungerechtigkeit war (Schäfer/ Möller 2011, 171).
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Mit Blick auf die vorliegende Studie wird der Aspekt, ein Ziel in Form eines „Verantwortlichen“ für die
wahrgenommenen Ungerechtigkeiten zu finden in den nächsten Absätzen näher beleuchtet. Für die
vorliegende Gruppierung kommt dem „Staat“ und „seiner Politik“ und in diesem Kontext auch der
„Polizei“, als ausführendes Organ von Staatsgewalt diese Rolle zu. Ihm kann die Verantwortung für
die wahrgenommenen Ungerechtigkeiten bzw. die bestehenden Verhältnisse übertragen werden.
Darüber entwickelt sich bei den Befragten eine spürbare Wut, die in gesellschaftliches bzw. politi-
sches Engagement und Protest mündet.
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Die ausführliche Studie und weitere Ergebnisse sind nachzulesen in: Möller, R.; Sander, U.; Schäfer, A.; Villányi, D.; Witte, D. M. (2009):
Motive Structures and Violence among Young Globalization Critics: A Statistical Typology of the Motives for Protest at the 2007 G8 Summit.
International Journal of Conflict and Violence. 3 (1). S. 124-142.
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