Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel - page 75

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Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel
annehmen oder so, aber wenigstens, dass sie mal irgendwie drüber nachdenken. Dann, jaaa …
Mir ist einfach wichtig, dass ich jetzt so ein reines Gewissen hab’, weil – ich hab’ halt eine ge-
wisse Regel mir selbst gegeben, damit ich nicht immer nur auf die andern schimpf’, zum Bei-
spiel dass ich halt jetzt nicht irgendwie im H&M einkauf’ oder so, sondern nur in Second-Hand-
Läden oder auf Flohmärkten oder so. Dass das halt, weiß ich, das ist mir wichtig, dass, ich ess’
einfach kein Fleisch oder so und auch wenig andere Tierprodukte oder so. Das ist halt, ja, das ist
mir wichtig, dass ich das alles so einhalte, damit ich auch selbst was besser mach’ und nicht
immer und dann im Endeffekt trotzdem genauso schlimm bin wie die andern irgendwie so. Ja,
so was halt.“ (w)
Eine andere Jugendliche bspw., die sich in einer Tierrechtsgruppe engagiert, lebt vegan:
„I: Bist du Mitglied einer konkreten Gruppe?
A: Ja, einer Tierrechtsgruppe.
I: Lebst du auch vegan?
A: Ja. (w)
Andere Befragte sind da nicht so konsequent. Obwohl sich ein Jugendlicher bspw. auch für Tierrechte
engagieren würde, verzichtet er nicht auf Fleisch auf seinem Speiseplan. Dies führt gleichzeitig zu
Problemen zwischen ihm und anderen Engagierten, die ihn aufgrund seiner Inkonsequenz an der
Gruppe nicht teilnehmen lassen.
„A: Schau dir die Vegan-Autonomen an. Wenn die eine Aktion starten, würde ich gerne mitma-
chen, weil ich das toll finde, aber die lassen mich nicht rein, weil ich ab und an einen Döner ver-
speise. Ich unterstütze also unterschiedliche Gruppen immer mal wieder vor allem vor und bei
Aktionen.“ (m)
Zur näheren Erklärung sei hier auch auf die Ausführungen zur Autonomen Szene in Kapitel 4.3.2.1
verwiesen. Als „
ganzheitlich orientierte
“ Szene zeichnet sie sich durch hohe Anforderungen an das
Engagement der einzelnen Szenegänger aus: Man kann sich nicht für etwas engagieren und dann im
Alltag anders leben. Ein befragter Experte führte das so aus:
„Es gibt kein richtiges Leben oder kein
falsches Leben im richtigen (…), sondern eben auch individuell sich sozusagen korrekt verhalten und
man kann nicht im Alltag sexistisch miteinander umgehen und dann gegen Nazis sein. Das passt nicht.
Da sind die Anforderungen höher.“ (Experte)
Man kann sich nicht nur engagieren, sondern es wird
erwartet, dass man seine Überzeugungen im Alltag „lebt“. So ist auch der letzte Interviewausschnitt
zu verstehen. Man kann nicht gleichzeitig Fleisch essen, sich aber trotzdem für Tierrechte engagie-
ren. Es wird Kongruenz im Verhalten der Szenegänger erwartet. Verhält man sich anders, führt das
(wie im vorliegenden Beispiel) unter Umständen zu Problemen mit anderen Gruppenmitgliedern, die
in ihrem Verhalten konsequenter sind.
Haunss (2013, 31) spricht in diesem Kontext für die Autonomen von dem „Anspruch einer subjektivis-
tischen Politik, die individuelle Selbstveränderung als mindestens ebenso wichtig ansieht wie die
Veränderung der Gesellschaft“ in Gestalt einer „Politik der ersten Person“.
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