Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel - page 64

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Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel
ich angefangen, mich für Schriftsteller zu interessieren. Das ist ja auch so was … Ja, man könnte
sagen, ich bin über Literatur draufgekommen. Hab’ mich angefangen für Politisches, für Gesell-
schaftliches zu interessieren, was früher tatsächlich verfasst wurde, weil vieles davon ja heute
noch aktuell ist. Und irgendwann bin ich dann einfach bei Marx gelandet. Das ist dann – also
wenn man von einer Prägung sprechen kann, dann durch Marx. Weil vom Gedankengut her
fand ich den einfach schon immer am ansprechendsten. Und das war dann – ja, wie alt war ich
da, sechzehn, siebzehn, so nach dem Motto –, das war dann so der Zeitpunkt, wo einfach durch
die Literatur meine Strömung, also meine Richtung sich entwickelt hat.“ (m)
5.1.2 Der Weg zum gesellschaftlichen bzw. politischen Engagement und Protest
Jugendliche, die sich engagieren und protestieren haben im Laufe ihrer bisherigen Sozialisation ein
Interesse an politischen und gesellschaftlichen Themen entwickelt. Wie entwickelt sich das politische
Interesse letztendlich zum späteren Engagement und Protest weiter? Im nächsten Abschnitt wird
diese Frage näher erörtert.
5.1.2.1 Die biografischen Wurzeln für späteres Engagement und Protest
Ein Blick in die Interviews zeigt, dass für Engagement und Protest persönliche Erfahrungen und Be-
troffenheit zentral sind, gekoppelt mit einer besonderen Sensibilität in der Wahrnehmung von Unge-
rechtigkeiten.
Ein persönlicher Bezug ist entscheidend.
In dem für diese Studie erhobenen empirischen Material
zeigte sich, dass die befragten Jugendlichen sich engagieren und protestieren, wenn sie einen per-
sönlichen Bezug dazu haben. Entweder aufgrund eines indirekten Erlebens bspw. durch Gespräche
mit Eltern oder Großeltern, die von den eigenen Lebenserfahrungen in Diktaturen berichten und ihre
Kinder bzw. Enkelkinder prägen. Oder aufgrund persönlicher Erfahrungen, wie auch das folgende
Beispiel zeigt.
Eine Befragte erzählt von ihrer Motivation sich im Bereich des Antifaschismus und Antisexismus zu
engagieren. Zum einen berichtet sie von ihren Kindheits- und Jugenderfahrungen in der Familie, in
der sie in eine bestimmte Frauenrolle gedrängt wurde und zum anderen von ihrem besten Freund,
der Opfer von Diskriminierung wurde:
„A: Also Antifaschismus und Antisexismus sind bei meinem Engagement besonders wichtig. An-
tifaschismus war der Auslöser für mich, in die Szene zu gehen, und deswegen spielt das auch
die wichtigste Rolle. Antisexismus ist mir schon immer wichtig, da ich familiär auch immer in
eine bestimmte Frauenrolle gedrückt wurde. Auf Grund meines besten Freundes spielt der Anti-
rassismus eine vorgeordnete Rolle, weil ich es nicht in Ordnung finde, wenn Menschen wie du
und ich diskriminiert werden, nur weil sie nicht wie der Rest aussehen oder nicht aus unserem
„tollen“ Deutschland kommen. Ich finde es absolut erforderlich, gegen so unmenschliche Bewe-
gungen vorzugehen, denn alle Menschen sind gleich.“ (w)
Die Befragten haben eine besondere Sensibilität in der Wahrnehmung von Ungerechtigkeiten.
Die
Moralentwicklung vollzieht sich bereits in der frühen Kindheit. Laut Berk (2005, 343) finden sich be-
1...,54,55,56,57,58,59,60,61,62,63 65,66,67,68,69,70,71,72,73,74,...126
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