Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel - page 61

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Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel
Andere Jugendliche machen Ohnmachtserfahrungen in der Familie oder im Kontakt mit Peers. Die
Gestaltung des Schulalltags wird als sehr hierarchisch erlebt und die Möglichkeiten der Beteiligung
als rar. Darüber können persönliche Befürchtungen bzw. Ängste vor Abhängigkeiten entstehen. Ein
Beispiel ist im folgenden Interviewausschnitt zu finden, in dem die Angst einer Jugendlichen vor fi-
nanzieller Abhängigkeit vom staatlichen Fürsorgesystem beschrieben wird.
„A: Ich habe Angst, meine Unabhängigkeit zu verlieren, vom Staat abhängig zu sein und um
meine Existenz betteln zu müssen.“ (w)
Gleichzeitig besteht bei den Befragten ein großes Bedürfnis nach Selbstbestimmung. Man möchte
sich nicht anderen und deren Ansichten unterordnen und Verantwortung nur für sich selbst über-
nehmen.
„A: Alles, was ich tue, mache ich so, wie ich es mir vorstelle, und ich bin nur mir gegenüber ver-
antwortlich und nicht für jemand anderen.“ (m)
Die befragten Jugendlichen sind freiheitsliebend, auch in die Zukunft geblickt möchte man sich nicht
unbedingt an einen Ort und Familie binden und ein selbstbestimmtes Leben führen.
„A: Ich möchte einfach ein Leben führen, wo ich sag’, das hab’ ich mir ausgesucht, das hat mir
nicht irgendjemand vorgeschrieben. Dafür bin ich gern auch bereit, viel Zeit und viel Kraft da
reinzuinvestieren, aber ich möchte das, was in meinem Leben – klar, ich muss nicht jedes kleine
Dings selbst bestimmen, aber zumindest so ungefähr grob, dass ich selber entscheiden kann,
wo ich hin möchte, was ich haben möchte, und dann vielleicht auch mal wieder einen Schritt
zurückgehen, wenn ich sag’; ja, das möchte’ ich jetzt doch nicht, und so. Aber dass ich halt im-
mer so die Möglichkeit hab’, selbstbestimmt mein Leben zu gestalten – schon mit Rücksicht-
nahme auf meine Umwelt und auf mein Umfeld und so was.“ (w)
Das Bedürfnis nach Autonomie und Selbstbestimmung wird in den Ergebnissen immer wieder deut-
lich und liegt sozusagen „quer“ dazu.
Peers.
Neben der Familie spielt die Peergroup für die Entwicklung von politischem Interesse eine
Rolle.
Die Jugendlichen haben eine Peerorientierung. Dabei ist politisches Interesse und/ oder die politische
Orientierung zunächst sekundär. Die Jugendlichen sind in ein Peernetzwerk eingebunden.
Peers wird eine wichtige Sozialisations- und Stützfunktion zugewiesen. Peers begegnen sich auf Au-
genhöhe, sie unterstützen einander bei der Bewältigung von Entwicklungsaufgaben und fungieren als
normgebende und normaushandelnde Instanz. Durch eine gute soziale Einbindung in ein Freund-
schaftsnetzwerk wird das psycho-soziale Wohlbefinden Jugendlicher gestützt. (vgl. Thomas 1992) Im
Leben der Befragten spielen die Peers eine herausragende Rolle, teilweise fungieren sie sogar als
Familienersatz.
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