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Iran: Der ganz normale Gottesstaat
Einsichten und Perspektiven 2 | 15
Die Ruinen der antiken Stadt Persepolis sind gut erhalten: Auf diesem Felsenrelief lässt sich die Ausstattung und Herkunft der abgebildeten Delegationen aus
dem 6. Jahrhundert vor Christus bis heute rekonstruieren.
gestuft wird: Die Urananreicherung des Iran wurde darin
massiv beschränkt. Eine endgültige Abwendung Irans vom
Ziel des nuklearen Fortschreitens bedeutet das aber mit-
nichten. Einigen Aufschluss über den Kurs des neuen Prä-
sidenten ergeben auch Bevölkerungsumfragen, die evaluier-
ten, dass Rouhani-Anhänger tendenziell stärkere Verfechter
des Rechts auf Nuklearwaffen sind (76%) als Rouhani-
Gegner (61%). 
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Die Unterstützer des Präsidenten haben
also keineswegs eine moderatere Einstellung zum Thema,
wie oftmals behauptet wurde. In den Verhandlungen mit
der internationalen Gemeinschaft war die Regierung dem-
entsprechend nicht nur der harten Haltung der religiösen
Führung verpflichtet, sondern auch der Meinung nicht nur
der konservativen Öffentlichkeit: „Das Nuklearprogramm
ist eines der wenigen Themen, bei dem sie auch mit der
Unterstützung der säkularen, nationalistisch denkenden
Kräfte rechnen können. Keine iranische Regierung kann es
sich erlauben, vor der Welt einen Verzicht darauf zu erklä-
ren“ 
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, schließt Lau. Ein vollständiges Einknicken Irans im
Atomkonflikt ist daher in naher Zukunft nicht zu erwar-
ten. Die Einigung mit der internationalen Gemeinschaft
ist zunächst einmal als diplomatischer Erfolg Teherans zu
werten, da eine Aufhebung der Sanktionen erreicht wurde.
Inwiefern Iran sich an die Auflagen halten wird, bleibt hin-
gegen abzuwarten.
In noch höherem Maße muss dies für den innenpoli-
tischen Reformkurs festgestellt werden, der seit der Wahl
Rouhanis herbeigehofft wurde. Eine Auswahl an Mel-
dungen aus dem Jahr 2015 zeigt: Der Präsident geht zwar
gegen die Korruptionsstrukturen vor, die sein Amtsvor-
gänger etablierte, 
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und macht dabei auch vor ehemaligen
Vizepräsidenten keinen Halt. Einer wurde erst kürzlich
inhaftiert, sein Amtskollege bereits zu fünf Jahren Haft
verurteilt, weil er in Korruptionsaffären verwickelt gewe-
sen sein soll. Doch eine Liberalisierung nach innen scheint
in weiter Ferne: Seit Juli 2014 sitzt beispielsweise der Iran-
Korrespondent der Washington Post, Jason Rezaian, in
Haft. Derzeit läuft unter Ausschluss der Öffentlichkeit
sein Prozess wegen „Spionage und Propaganda“ gegen den
Iran. Anfang Juni 2015 wurde die 28-jährige Karikaturis-
tin Atena Farghadani wegen „Beteiligung an Versammlun-
gen und Verschwörungen gegen die nationale Sicherheit,
Beleidigung von Parlamentsabgeordneten und Verbreitung
von Propaganda“ nach einer Verhandlung, die Amnesty
International (AI) zufolge nicht einmal einen halben Tag
56 Zogby (wie Anm. 38), S. 5.
57 Lau (wie Anm. 2), S. 408.
58 Ahmadinejad verteilte Schlüsselpositionen in Geheimdienst und Militär
an ehemalige Pasdaran-Kommandeure und verschaffte deren Unterneh­
men Zugang zu den ökonomischen Ressourcen des Landes. Bigge (wie
Anm. 36), S. 103.
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