Einsichten und Perspektiven 2|15 - page 13

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Iran: Der ganz normale Gottesstaat
Einsichten und Perspektiven 2 | 15
sie sich insbesondere mit Frauenrechten. Ein Motiv, das
sich in der Reihe
„Stones and Mute Birds“
immer wieder
findet, ist das der öffentlichen Steinigung. Im Jahr 2006
erregte ein Fall international großes Aufsehen: Eine Frau
war wegen Ehebruchs zum Tod durch Steinigung verur-
teilt worden, 2014 wurde sie jedoch aus dem Gefängnis
entlassen.
Die Künstlerin Samira Hodaei in einer Berliner Ausstellung ihrer Werke
„Im Iran liegen die Erfahrungen, die Männer und Frauen
machen, sehr weit auseinander. In Teheran kämpfen wir
Frauen um grundsätzliche Freiheiten – etwa darum, offen
reden zu dürfen. Ich glaube, ich muss keine Feministin
sein, um das zu wollen“, sagt Hodaei. Für die Genera-
tion der Mütter und Großmütter, die ihre Sozialisation
während des Schah-Regimes erfuhren, war die plötzliche
Bevormundung der Frauen nach Machtübernahme der
Kleriker ein harscher Einschnitt in ihre Persönlichkeits-
rechte. Den gekränkten Stolz gaben sie nicht selten an ihre
Töchter weiter. Später, unter dem „Reform-Präsidenten“
Khatami wurden die religiösen Zügel zunächst gelockert,
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doch insbesondere in der Ära des Präsidenten Ahmadine-
jad, der in seiner ersten Amtszeit als ausführendes Organ
des „Revolutionsführers“ galt, wieder angezogen. Dies
betraf nicht nur die iranischen Frauen: Oppositionelle,
Reformanhänger, missliebige Journalisten wurden syste-
matisch ausgeschaltet. 
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Mahmud Ahmadinejad, ein konservativer Hardliner in
der Rolle des einfachen Mannes, überzeugte die iranische
Wählerschaft vor dem Hintergrund sozialer Missstände,
hoher Arbeitslosigkeit und mangelnden wirtschaftlichen
Fortschritts. 
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Im Wahlkampf 2003 gab er sich wirt-
schaftskompetent und fuhr eine Kampagne zur sozialen
Gerechtigkeit und zur Verbesserung der Lage der armen
Bevölkerung: Er versprach Jobs, soziale Sicherheit und
höhere Einkommen. Die iranischen Wählerinnen und
Wähler konnten nicht widerstehen, zumal sich nach einer
Phase der Entspannung der internationalen Beziehungen
seit George W. Bushs berüchtigter „Rede zur Lage der
Nation“ im Jahr 2002 die Parameter verschoben hatten.
Der Iran als Mitglied der „Achse des Bösen“: Klarer wurde
ein Feindbild auf der internationalen Bühne lange nicht
mehr artikuliert. Mit der Irak-Invasion der USA im ira-
nischen Wahljahr stürzte dann mit Saddam Hussein zwar
ein Nachbar, dem man keine Träne nachweinte, doch
die militärische Präsenz der Amerikaner an der eigenen
Grenze weckte Erinnerungen an die Einmischungen der
Vergangenheit.
„Der Irre von Teheran“: Die Ära Mahmud Ahmadinejad
Der Streit um das iranische Atomprogramm verschärfte
die angespannte Lage zusätzlich. 2003 musste die iranische
Führung öffentlich gestehen, dass sie seit 18 Jahren ein
geheimes Nuklearprogramm verfolgt. Umfragen zufolge
sprechen sich zwei Drittel der iranischen Bevölkerung für
den Besitz ihres Landes von Atomwaffen aus. 
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Auch wenn
nur wenige Befragte im September 2013 angaben, dass die
Fortsetzung des Nuklearprogramms die wichtigste politi-
sche Priorität sei, gab es dennoch eine breite Mehrheit für
die atomare Aufrüstung – selbst, wenn dies handfeste Kon-
sequenzen bedeutet: Eine überwältigende Mehrheit war
der Ansicht, dass das iranische Recht auf ein Nuklearpro-
gramm den Preis ökonomischer Sanktionen und internati-
onaler Isolation wert ist. 
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Die Vermutung ist naheliegend,
35 Khatami leitete die Geschicke der „Islamischen Republik“ von 1997 bis
2005. Er wurde vor allem von der Jugend und von Frauen gewählt. Obwohl
er hinter den hohen Erwartungen zurückblieb, gelang ihm eine kulturelle
und intellektuelle Öffnung des Landes: Er zeigte sich offen für eine star­
ke Zivilgesellschaft. In seiner Amtszeit entstanden NGOs, unabhängige
Verlage und kulturelle Initiativen. Volker Perthes: Iran. Eine politische He­
rausforderung. Die prekäre Balance von Vertrauen und Sicherheit, Bonn
2008, S. 24 f.
36 Florian Bigge: Kandidat der Pasdaran, in: Daniel Gerlach/Christian H. Meier
(Hg.): Der Nahe Osten in hundert Köpfen. Biografische Skizzen zu Zeitge­
schichte und Gegenwart, Bonn 2012, S. 102f., hier S. 103.
37 Hier und im Folgenden Perthes (wie Anm. 35), S. 26 ff.
38 Zogby Research Services (Hg.): Iranian Attitudes. September 2013, S. 3.
39 Hier und im Folgenden Zogby (wie Anm. 38), S. 3.
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