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Iran: Der ganz normale Gottesstaat
Einsichten und Perspektiven 2 | 15
Teheran im April 2014: „Wenn du wissen willst, wohin
unsere Steuergelder verschwinden, musst du zum Vanaq-
Platz fahren“, rät ein junger iranischer Architekt beim
Abendessen. Im Norden der Millionenstadt entsteht
ein riesiger Museumskomplex, der Name:
Holy Defense
Museum,
Museum der „Heiligen Verteidigung“. Der
Begriff ist die offizielle iranische Bezeichnung des Krieges
gegen den Irak in den 1980er Jahren. Das Ausstellungs-
gebäude hat an dem Tag geschlossen, sein Eingang wird
von Soldaten bewacht. Auf dem Gelände haben sich nur
einzelne Passanten verlaufen. Sie wirken verloren auf dem
riesigen Platz neben all den Panzern, Raketen und Mär-
tyrer-Schreinen. Dazwischen alle paar Meter Mülleimer
mit der Flagge des Staates Israel und schrullige Bänke in
Panzer-Form.
Direkt vor dem Hauptgebäude stehen in einer Reihe
Glaskästen, so groß, dass jeweils ein Auto hineinpasst.
Die zerstörten Wägen sind in weiße Laken gehüllt, die
vermutlich Leichentücher symbolisieren. In ihre Falten
sind rote Blumen eingesteckt. Eine Lücke gibt jeweils
den Blick frei auf den Fahrersitz: darauf ein in Gold
gerahmtes Porträt des vormaligen Besitzers, der in den
Augen des iranischen Regimes zum Märtyrer geworden
ist. Auf tropfenförmigen mannshohen Tafeln in Gold
ist auf Farsi und Englisch mehr über den Betrauerten
zu erfahren (Bild s. S. 7). Eine der Tafeln ist Mostafa
Ahmadi-Roshan gewidmet, einem Nuklearwissen-
schaftler. Sein „Martyrium“, auf den 11. Januar 2012
datiert: „vom israelischen Geheimdienst (Mossad) mit
einer Bombe attackiert, die an seiner Autotür befestigt
war“. Und der Besucher erfährt noch mehr: „hervorste-
chende Charaktereigenschaften: intelligent, nett, wit-
zig, gehorsam dem Obersten Rechtsgelehrten, aktiv und
geschickt bei Projekten, bereit für den Jihad, das Mar-
tyrium liebend, zuverlässig die Gebete zur rechten Zeit
verrichtend“. Attribute, wie sie sich das religiöse Regime
bei seinem Volk erhofft.
Die islamische Revolution ist nicht vorbei, bis heute
muss sie täglich verteidigt werden, scheinen die Glaskästen
den Besuchern zu sagen. An diesem Ort also können sich
Irans Bürger seit 2012 über einen der wichtigsten Grün-
dungsmythen der Islamischen Republik informieren: den
Iranisch-Irakischen Krieg, der von 1980 bis 1988 andau-
erte, hierzulande besser bekannt als Erster Golfkrieg. Der
Waffenstillstand kannte keinen strahlenden Sieger, doch
die neu entstandene „Islamische Republik“ konnte sich
in einem langwierigen Kampf gegen die Truppen Saddam
Husseins behaupten. Das nationale Trauma blieb aufgrund
der Gewalt und zerstörerischen Kraft des Krieges dennoch
nicht aus. 
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Israel hatte Iran in diesem Konflikt sogar mit
Waffen beliefert, doch in einem Land, in dem der jüdische
Staat traditionell zum kleinen Bruder des „Großen Satans“
USA erklärt wird, spielen historiographische Spitzfindig-
keiten eine eher untergeordnete Rolle: Die Propaganda
gegen Israel und Amerika ist im Iran so allgegenwärtig wie
das obligatorische Doppelporträt der beiden „Revolutions-
führer“ Chomeini und Khamenei, die in nahezu jedem
Café Irans finster (erstgenannter) oder gutmütig (letzterer)
von der Wand schauen (Bild s. S. 19). An der Mauer der
ehemaligen amerikanischen Botschaft in Teheran pran-
gen Freiheitsstatuen mit Totenköpfen unter den Zacken
des ikonischen Kranzes, in den Zwischengeschossen der
Teheraner U-Bahnen stehen Fernseher auf orientalischen
Tischdeckchen, die rund um die Uhr Hetz-Reden gegen
die USA und religiöse Anweisungen ausstrahlen. Beobach-
tet man eine Weile, wie die junge Teheraner Bevölkerung
die nostalgischen Geräte mit Nichtachtung straft, während
sie von einer Station zur anderen eilt, wirken die Indoktri-
nationsversuche ziemlich aus der Zeit gefallen.
Iranische Propaganda ist selten subtil: Dieser Mülleimer zeigt deutlich, was
die Teheraner Stadtverwaltung von Israel hält.
1 So wird heute im Iran angesichts des blutigen Vorgehens des selbst­
ernannten „Islamischen Staates“ auch auf die Erfahrungen im Iranisch-
Irakischen Krieg rekurriert. Sarah Birke/Peter Harling: Der „Islamische
Staat“ hinter den Spiegeln, in: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäi­
sches Denken, Heft 793, Juni 2015, 69. Jg., S. 39–50, hier S. 40.
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