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Iran: Der ganz normale Gottesstaat
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Auf der Insel Qeshm werden täglich mehrere Millionen Kubikmeter Gas verarbeitet und von dort über den Persischen Golf ins Ausland verschifft. Die Erdgas­
raffinerie im Bild machte Schlagzeilen, weil aufgrund ihres desolaten Zustands täglich Gas austrat.
nahöstlichen Welt 
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weniger etwaige theologische Fragen
denn die Interessen der jeweiligen Staaten im regionalen
Machtgefüge berührt: „Angesichts der iranischen Unter-
stützung für die sunnitische Hamas und des politischen
Zweckbündnisses mit dem syrischen Regime 
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[...] lässt
sich dieses Szenario [...] kaum aufrechterhalten“, 
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meint
der Wissenschaftler Bahar Sayyas. Schiitisch-sunnitische
Differenzen werden in der Rhetorik der nahöstlichen
Regime häufig genutzt, um Politiken zu rechtfertigen.
Dies bleibt nicht ohne Konsequenzen: „Insbesondere die
mediale Förderung antischiitischer Ressentiments führte
dazu, dass Konflikte in der Region vermehrt entlang reli-
giöser Linien definiert werden; gleichwohl werden in der
Praxis seitens Iran religiöse Bezüge nur dort hergestellt, wo
sie den politischen Interessen dienlich sind.“ 
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Auch wenn die grundsätzliche Ablehnung Irans als ratio-
naler außenpolitischer Akteur die politischen Realitäten
verkennt: „Es macht eben doch einen Unterschied, ob
der iranische Präsident Glückwünsche für das jüdische
Neujahr durch den Äther zwitschert oder eine Brandrede
über den erwünschten Untergang Israels hält und den
Holocaust leugnet“ 
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, fasste Walter Posch, Iran-Experte
der SWP, kurz nach der Wahl des neuen Präsidenten Has-
san Rouhani im Juni 2013 
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treffend zusammen. Der
Stil Rouhanis unterscheidet ihn wohltuend von seinem
Vorgänger, doch ist die Frage nach wie vor offen, ob dem
rhetorischen Kuschelkurs auch praktische Konsequenzen
folgen.
Hassan Rouhani: Eine Zwischenbilanz
Eine Zwischenbilanz im Sommer 2015 ergibt ein gemisch-
tes Bild der ersten beiden Amtsjahre Rouhanis. Zwar kam es
Mitte Juli 2015 zu einer sogenannten „historischen“ Eini-
gung im Atomkonflikt, die schon heute als größte außen-
politische Leistung des US-Präsidenten Barack Obama ein-
50 Noll geht sogar so weit, den schiitisch-sunnitischen Konflikt als den wah­
ren Nahostkonflikt „mit dem Charakter eines Kalten Krieges um die Do­
minanz in der islamischen Sphäre“ zu kategorisieren. Chaim Noll: Islami­
scher Imperialismus. Neueste Entwicklungen im Nahen Osten, in: Merkur.
Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken, Heft 764, Januar 2013, 67.
Jg., S. 78–85, hier S. 82.
51 Der alewitische Glaube des Assad-Clans ist mitnichten mit der Zwölfer-
Schia der iranischen Geistlichen gleichzusetzen.
52 Bahar Sayyas: Der „Arabische Frühling“ und Irans regionale Rolle, in: Ara­
bische Zeitenwende. Aufstand und Revolution in der arabischen Welt, Bon
2012, S. 266-270, hier S. 267.
53 Ebd.
54 Posch (wie Anm. 42), S. 18.
55 Hassan Rouhani wurde bereits im ersten Wahlgang mit 50,7 Prozent der
Stimmen gewählt. Da ein Sieg der Prinzipientreuen um Ajatollah Kha­
menei erwartet worden war, war die Wahl des als „gemäßigt“ Geltenden
durchaus eine Überraschung. Henner Fürtig: Iran: Präsidentschaftswahlen
2013 mit überraschendem Ausgang, in: GIGA Focus Nahost 6 (2013), S. 1.
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