Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel - page 96

96
Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel
ren getroffen und man hat als Betroffener die Konsequenzen zu tragen. In diesem Kontext steht auch
das Misstrauen bzw. der Vertrauensverlust gegenüber dem Staat in Form von Hass
39
.
In Forschungen zu Gewalt und Aggression (Gewalt als Teil von Aggression) werden Emotionen wie
Ärger, Empörung, Hass, Lust oder Furcht mit Aggression in Verbindung gebracht und als aggressions-
fördernd beschrieben (vgl. Wahl 2009).
Wahl definiert aus einer emotionstheoretisch übergreifenden Perspektive Emotionen als „psycho-
physische Mechanismen[…], die als Summe lang anhaltender Erfahrungen, oft aber auch durch eine
aktuelle Situation oder ein Objekt ausgelöst werden (z.B. ein gefährliches Tier), dann eine rasche
Bewertung vornehmen (z.B. als bedrohlich), physische Konsequenzen haben (z.B. Zittern), ein Gefühl
erleben lassen (ein angenehmes oder unangenehmes wie Freude, Furcht, Wut) und zu einem be-
stimmten Verhalten (z.B. Flucht, Angriff) motivieren.“
Unter einer zeitlichen Perspektive unterscheidet Wahl (2009,73)
„sehr kurze, unbewusst angebahnte Affekte (z.B. Schreckreaktion),
relativ kurz andauernde Emotionen (z.B. Ärger über ein Missgeschick) auch als subjektive,
bewusst erlebte Gefühle,
längerfristige Stimmungen (z.B. Trauer, Depression, Heiterkeit),
dauerhafte Temperamente (z.B. in der Kindheit beginnende Laune oder Missstimmung)“.
Emotionen werden auch als „Überlebensmechanismen“ (Wahl 2009, 72) und „Notfallreaktionen (bei
unmittelbar drohender Gefahr)“ (Wahl 2009, 72)) beschrieben.
Nach Wahl (2009, 72) können sich Emotionen als „Reaktionen auf aktuelle Auslöser oder als Summe
langfristiger Erfahrungen einstellen“. Als Beispiel führt er Emotionen an, die im Kontext der Errei-
chung eines Ziels entstehen können. Können Ziele nicht verwirklicht werden oder werden sie absicht-
lich von anderen blockiert, kann das zur Emotion Ärger führen. Übertragen auf die vorliegende Studie
könnte dies als eine Erklärung für die intensiven Gefühle der Frustration und Wut gekoppelt mit dem
Gefühl der Ohnmacht der Befragten herangezogen werden. Diese Gefühle führen bei einigen Jugend-
lichen dazu sich zurückzuziehen und in der Passivität zu verharren, andere wiederum bewältigen
diese Gefühle mit Aktivität. Sie engagieren sich und protestieren gegen die bestehenden Verhältnis-
se. Diese Aktivität kann dann unter Umständen und individuell unterschiedlich in Gewalthandeln
münden und zwar dann, wenn man wiederum das Gefühl vermittelt bekommt, dass andere Formen
und Mittel des Engagements nicht zum gewünschten Ziel –eine Veränderung oder zumindest eine
Reaktion zu erwirken, führen.
Allerdings muss betont werden, dass nicht jede Frustration zu Aggression führt sondern bspw. auch
Reaktionen wie Rückzug zur Folge haben kann. Umgekehrt ist dementsprechend auch nicht jede Ag-
gression mit der Erfahrung von Frustration zu erklären. Wahl (vgl. 2009, 74) verweist auf Forscher
wie bspw. Berkowitz (1962), die in Versuchen herausfanden, dass Frustration zunächst zu Ärger (Wut
und Hass sind Steigerungen von Ärger) führen muss, der dann wiederum in Aggression münden kann.
39
Inwieweit das Erleben von Ohnmacht im Kontext von Familie und Schule ebenfalls eine Rolle spielt, kann mit dieser Forschungsarbeit
nicht ausreichend erklärt werden. Es gibt aber Hinweise in den Interviews, dass bspw. Gewalterfahrungen in der Biografie nicht automa-
tisch zur Ausübung von Gewalt führen (vgl. Erklärungsversuch Nr. 10). Um dieser Frage nachzugehen sind weitere Forschungen wün-
schenswert.
1...,86,87,88,89,90,91,92,93,94,95 97,98,99,100,101,102,103,104,105,106,...126
Powered by FlippingBook