Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel - page 102

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Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel
8.
Gewalt als Ritual.
Zu ritualisierter Gewalt kann es kommen, wenn auf verschiedenen Seiten Erwartungshaltungen vor-
handen sind. Dazu zählen bspw. Veranstaltungen, die bereits Tradition haben oder entsprechend
organisiert werden. Beispiele sind die „dritte Halbzeit“ im Fußball oder bezüglich Engagement und
Protest sind die Demonstrationen am 1. Mai in Berlin oder Hamburg zu nennen. Es ist bekannt, dass
es dort immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen u.a. zwischen dem „schwarzen Block“
und der Polizei kommt. Man geht schon mit der Erwartung dort hin, dass „etwas passieren wird“.
Gewalt auf einer Demonstration am 1. Mai muss keinen politischen Hintergrund haben.
Zu diesen Demonstrationen kommen nicht nur politisch Engagierte, sondern auch viele „unpoliti-
sche“ Demonstranten. Die Motivation der Teilnahme und manchmal auch die Suche nach der gewalt-
förmigen Auseinandersetzung liegen u.a. in der Erlebnisorientierung. Die Konfrontation mit der Poli-
zei wird zu einem „Katz- und Maus-Spiel“ und erhält damit einen fast spielerischen Charakter.
„A: So die Vierzehn- bis Achtzehnjährigen; glaub’ ich nicht, dass die sich da so in dem Bereich …
Wenn die mal auf so eine Demo gehen, kommt natürlich auch vor, dann sind die natürlich ganz
schnell mitgerissen, wenn dann plötzlich Polizisten und Demonstranten sich da gegenüberste-
hen und sich da gegenseitig angebrüllt wird; da sind so richtig Jugendliche eben eher, die neh-
men dann auch schnell mal einen Stein. Aber das ist eigentlich jetzt nicht wegen einer politi-
schen … Die sind auch nicht auf der Demo wegen einer politischen Überzeugung, sondern 1.
Mai ist ja Großkampftag. Da weiß man auch, da haben wir immer ganz viele, die im Nachgang
dann Straftaten hier zur Last gelegt bekommen, und das sind häufig welche, die: Ach, ich wollt’
da auch mal hingehen, weil da soll ja immer was los sein. Und da zünden die ja auch die Müll-
tonnen an und solche Sachen, und da wollt’ ich auch mal dabei sein! – Und dann nehmen die
auch mal einen Stein und schmeißen den, aber das hat jetzt kein politisches oder gesellschaftli-
ches Engagement eigentlich dann auch beinhaltet.“ (Pädagogische Fachkraft)
9.
Wut und Frust bezüglich der eigenen Perspektivlosigkeit können zu Gewalt(handeln) füh-
ren.
Auch Wut und Frust bei Jugendlichen bezüglich einer eigenen Perspektivlosigkeit können zu Gewalt
führen. Dies ist u.a. auch bei Demonstrationen am 1. Mai zu beobachten. Dort entsteht vorüberge-
hend ein Zustand, der von Jugendlichen als rechtsfreier Raum erlebt werden kann. Dieser schafft
einen passenden und in gewisser Weise auch „geschützten“ Rahmen für betreffende Jugendliche, um
ihrer Wut und ihrem Frust freien Lauf zu lassen.
„A: Also zum Teil sind die schon wirklich am 1. Mai dort aufgetreten und haben gesagt: Jetzt
wollen wir Polizisten klatschen. Das ist der Beweggrund. Sich irgendwie mit der Polizei zu prü-
geln. Das hat vielfach nicht mal einen politischen Hintergrund. Denn wir hatten bis vor ein paar
Jahren eine Entwicklung gehabt, dass es immer weniger deutsche Jugendliche waren, sondern
dass es wirklich mit einem Mal Jugendliche mit Migrationshintergrund waren. Wo wir uns den-
ken: Was haben die im linken Spektrum zu suchen? Die haben damit nichts am Hut. Die wollten
wirklich zum 1. Mai gehen und wollten ganz einfach mal richtig mit der Polizei Zoff machen.“
(Pädagogische Fachkraft)
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