Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel - page 93

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Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel
Gewalt siehe Kapitel 4.1.3. In der vorliegenden Studie ist Gewalt vorrangig im Zusammenhang mit
mangelnder Anerkennung und Partizipation zu sehen.
Das Verhältnis der Befragten in Bezug auf Gewalt ist ambivalent.
Gewalt wird von den Befragten
differenziert in legitime und illegitime Gewalt. Gewalt gegen Personen ist prinzipiell nicht zulässig.
Von dieser Regel kann es jedoch Ausnahmen geben – Situationen in denen man sich wehren muss.
„A: Also, ich denk’, an sich ist Gewalt eigentlich nicht gut, aber so jetzt – es kommt halt auch
drauf an. Wenn man sich jetzt wehren muss oder so, das ist klar in Ordnung, find’ ich. Und, ja,
wenn jetzt irgendwie mich, ja, wenn mir jetzt einer eine reinhaut, sag’ ich mal, dann hau’ ich
halt auch zurück.“ (w)
Gleichzeitig wird Gewalt gegen Personen von den Befragten gesehen und wahrgenommen. Dies kann
in direkter Erfahrung bspw. auf Demonstrationen in Form von körperlicher Gewalt der Fall sein, dies
nehmen sie aber auch in Form von struktureller Gewalt als Teil der Gesellschaft wahr, die sich u.a. in
ihrer Wahrnehmung von Ungerechtigkeit manifestiert.
Es gibt auch Jugendliche, die differenzieren noch einmal Gewalt gegen Personen und Gewalt gegen
Unbeteiligte – Gewalt richtet sich dabei gegen Rechte und Polizisten.
„A: Es gibt einfach Menschen, die ein paar auf die Nüsse verdienen.“ (m)
Das Verhältnis des Mitteleinsatzes muss stimmen.
Eine Jugendliche beschreibt bspw. aus der eige-
nen Erfahrung heraus die ungleiche Machtposition zwischen Demonstranten („Wehrlose“) und Poli-
zisten. Sie empfindet das Verhalten von Polizisten manchmal als nicht adäquat und verurteilt deren
Mitteleinsatz als grenzüberschreitend den Demonstranten gegenüber.
„I: Gewalt: Was ist für dich Gewalt? Was verstehst du unter Gewalt?
A: Also ich find’ ja manchmal die – manchmal – die Reaktion der Polizisten sehr gewalttätig, al-
so find’ ich oft nicht so in Ordnung. Ich bin jetzt nicht auf so Riesendemos so oft, aber was man
ja beobachten konnte bei dem Stuttgart 21, wo dann wirklich gegen Wehrlose da das Tränen-
gas eingesetzt worden ist. Und so was find’ ich dann schon grenzüberschreitend, weil das muss
einfach nicht sein. Es waren ja wirklich – also ich kannte da auch jemanden –, das waren wirk-
lich ganz harmlose Menschen, nicht so ganz Extreme, die da irgendwie Steine geschmissen ha-
ben oder sich total wirklich doof benommen haben, sondern es waren ja wirklich eigentlich
ziemlich normale Menschen, die einfach im Weg standen, sag’ ich mal. Und das find’ ich dann
nicht gut.“ (w)
Die Überschreitung selbst gesetzter Grenzen ist möglich
. Es kann passieren, dass man persönlich
gesetzte Grenzen (auch ungewollt) überschreitet. Anlässe sind Situationen, die Ausnahmehandeln
fordern. Als solche Situationen werden bspw. Konfrontationen mit „Nazis“ oder Polizisten genannt.
Im vorliegenden Interviewausschnitt bringt der Befragte die Überschreitung der selbst gesetzten
Grenzen mit Kontrollverlust und einer Überreaktion in Verbindung. An dieser Stelle verweist er impli-
zit auf die Rolle von Emotionen, die in dieser Situation relevant werden. Es könnten Emotionen wie
1...,83,84,85,86,87,88,89,90,91,92 94,95,96,97,98,99,100,101,102,103,...126
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