Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel - page 88

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Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel
tik und dem Wunsch nach gerechteren gesellschaftlichen Verhältnissen (siehe dazu ausführlich Kapi-
tel 4.1.2).
Für diese Gruppe der Befragten ist es trotzdem wichtig erklärendes „Basiswissen“ zu haben. Das Inte-
resse an theoretischem Input bzw. an der Diskussion darüber lässt später oft nach.
„I: Setzt du dich auch mit Theorie auseinander?
A: Nein, da ich dazu echt wenig Zeit habe. Und ganz offen gestanden auch nicht sooo viel Bock
drauf habe. Früher hab ich das ‘ne Zeitlang intensiver betrieben, weil ich ja erst mal so einen
grundlegenden Durchblick haben wollte, um überhaupt mitreden zu können.“ (w)
Zur Erlangung von Basiswissen gehört bspw. die Auseinandersetzung mit marxistischen Theorien, mit
Ideen des Sozialismus oder mit Anarchismus. Auch wird als Lektüre Leben und Werk Rosa Luxem-
burgs genannt, oder man informiert sich bspw. über Ché Guevara. Auch von den befragten Experten
wurde konstatiert, dass bspw. in der autonomen Szene keine einheitliche Ideologie verfolgt wird (vgl.
Kapitel 4.3.2.1).
Neu (vgl. 2010) verweist in ihrer Studie „ Linksextremismus in Deutschland: Erscheinungsbild und
Wirkung auf Jugendliche“ der Konrad-Adenauer-Stiftung aus dem Bereich der Einstellungsforschung
darauf, dass bei den von ihnen befragten Jugendlichen, aus der von ihnen kategorisierten Gruppe der
„Linksextremismus affinen Personen“ (Neu 2012, 14), eine weitgehende Ideologiefreiheit festgestellt
werden konnte, bzw. bei einzelnen, wenn vorhanden, eher „Patchworkideologien“ (Neu 2010, 48)
ausgemacht wurden (vgl. Kapitel 4.3.1.1). Schuhmacher hält in seiner Studie
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„Sich wehren, etwas
machen – Antifa-Gruppen und –Szenen als Einstiegs- und Lernfeld im Prozess der Politisierung“ für
Engagierte in Antifagruppen fest, dass eine in vielen Fällen typische Selbstbeschreibung ein „Verzicht
auf eine genauere theoretische Positionierung“ (Schuhmacher 2013, 52) beinhaltet.
2. Zu viel Theorie kann zu Spaltung führen
. Ein anderer Teil der Befragten befürchtet, dass die Aus-
einandersetzung mit Theorie über das Basiswissen bzw. „Grundlagenwissen“ hinaus zu Spaltungen
bei den Engagierten führen könne.
„I: Setzt du dich auch mit Theorie auseinander?
A: Nicht wirklich. Zu viel Theorie führt meist zu Spalterei, Grundlagenwissen ist allerdings vor-
handen und auch auf jeden Fall angebracht!“ (m).
Auch hier sei noch mal auf Schuhmacher verwiesen, der für Engagierte in Antifagruppen genau diese
Spaltung anführt: „Geteilte inhaltliche Bezüge existieren nur in sehr allgemeiner Form. Gemeinsames
Moment ist eine linke Verortung, die allerdings in verschiedene, auch konkurrierende Stränge zer-
fällt“ (Schuhmacher 2013, 52).
3. Die Aktion ist wichtiger als Theorie.
Außerdem gibt es Befragte, die eine Auseinandersetzung mit
Theorie als mühsam empfinden. Bei diesen Engagierten steht vielmehr das „Tun“ im Vordergrund,
man will sich nicht nur theoretisch auseinandersetzen. Auch bei diesen Jugendlichen steht der An-
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Schuhmacher befragte zwischen Anfang 2009 und Ende 2011 insgesamt 20 Antifa-Aktive zwischen 16 Jahren und Mitte 30. Davon waren
13 männlich und sieben weiblich. Inhaltlich ging es um die Frage „wer, warum, unter welchen Bedingungen und mit welchen Begründun-
gen beginnt sich in ihr [der Antifa] zu engagieren“ (Schuhmacher 2013, 47).
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