Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel - page 92

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Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel
wenn die halt ein bisschen was machen, okay, lasst und drüber wegschauen. Aber wenn Leute
sich halt wirklich, keine Ahnung, querstellen und jetzt irgendwelche Polizisten oder so was an-
greifen oder so, dann, klar, das geht nicht und das macht man nicht und muss, find’ ich, nicht
sein. Da sag’ ich auf jeden Fall, nein.“ (m)
Wie die Empirie zeigt, ist Gewalt kein einfach zu fassender Begriff. Unterschiede gibt es bspw. in den
Grenzziehungen der Befragten zwischen Gewalt und Nicht-Gewalt, es werden unterschiedliche For-
men von Gewalt angesprochen (körperliche Gewalt, verbale Gewalt, Sachgewalt).
Im wissenschaftlichen Diskurs wird oft unterschieden zwischen einem engen und einem weiter ge-
fassten Begriff von Gewalt (vgl. Scheu 2009, 16). Mit dem engen Gewaltbegriff ist „die zielgerichtete,
direkte physische Schädigung“ (Scheu 2009, 16) gemeint. Scheu führt aus, dass der physische Ge-
waltbegriff als Gewalt „nur die unmittelbare körperliche Gewalttätigkeit, […] die direkte physische
Schädigung von Menschen durch Menschen, soweit sie absichtsvoll stattgefunden hat“ (Scheu 2009,
16) bezeichnet. Im weiter gefassten Gewaltbegriff wird zusätzlich die psychische Gewalt mit einbezo-
gen. Darunter werden Formen psychischer Beeinträchtigung wie bspw. Drohung, Beleidung oder
Verachtung gefasst. Scheu konstatiert, dass physische Gewalt oft einhergeht mit psychischer Gewalt.
Dabei ist psychische Gewalt weniger eindeutig und als solche erkenn- und identifizierbar (vgl. Scheu
2009, 16).
Rauchfleisch (vgl. 1996) unterscheidet drei Formen von Gewalt: Neben den bereits erwähnten physi-
schen und psychischen Formen nennt er mit Bezug auf Galtung (1975) die strukturelle Gewalt, die als
eine „in die Strukturen unserer Gesellschaft mit ihren Institutionen und Normen gebundenen, indi-
rekt wirkenden Art von Gewalt“ (Rauchfleisch 1996, 121) definiert wird. Bezogen auf das Individuum
ist damit gemeint, dass „die aktuelle Verwirklichung der Menschen geringer ist als ihre potentielle
Verwirklichung“ (Büttner, 1997, 420). Rauchfleisch betont neben der Schädigung eines anderen
Menschen als Merkmal von Gewalt das Machtgefälle, dass zwischen der Person oder Gruppe, die
Gewalt ausübt und dem Opfer, besteht (vgl. Rauchfleisch 1996, 121). Als weitere Formen von Gewalt
werden u.a. Vandalismus bzw. Sachgewalt (die Zerstörung und Beschädigung von Gegenständen),
verbale Gewalt (Schädigung und Verletzung durch Worte mit beleidigendem, erniedrigendem und
entwürdigendem Charakter), rassistische Gewalt, sexuelle und frauenfeindliche Gewalt unterschie-
den (vgl. Hurrelmann 1995). Dabei gilt als allgemeines Kriterium für Gewalt die Intention der Schädi-
gung.
Mit Gewalt als Teil von Aggression beschäftigt sich bspw. Wahl (2009). Er beschreibt Aggression als
den umfassenderen Begriff: „Die Evolution hat im Menschen ein Ensemble von Mechanismen ge-
schaffen, um sich gegen andere mit schädigenden Mitteln zu behaupten oder durchzusetzen. Dieses
Potential wird durch die genetische Ausstattung, den Sozialisationsprozess und gesellschaftliche Um-
stände gestaltet, gefördert oder gehemmt.“ (Wahl 2009, 2) Dabei ist mit Aggressivität das individuel-
le Potential für aggressives Verhalten gemeint (vgl. Wahl 2009, 2). Gewalt definiert er als „Teilmenge
von Aggression [die] im Verlauf der Geschichte […] durch gesellschaftliche und staatliche, zeit- und
kulturabhängige Normierungen als Gewalt konstruiert [wurde]. Sie ist oft in eine Hierarchie eingebet-
tet (die Gewalt der Mächtigen, die Gegengewalt der Schwachen). Ihre unterschiedlichen Formen
werden je nach Situation gefordert […], geduldet oder bestraft […].“ (Wahl 2009, 2)
Im wissenschaftlichen Diskurs wird Gewalt bei Jugendlichen u.a. als Ergebnis von Sozialisation, als
abweichendes Verhalten, als Möglichkeit zur Lösung innerer Widersprüche, als Mangel an Anerken-
nung oder Partizipation diskutiert (vgl. Scheu 2009, 13 ff.). Zum Phänomen der politisch motivierten
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