Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel - page 101

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Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel
„Das hat man oft in der Szene doch, dass da sehr viel Alkohol konsumiert wird und dadurch na-
türlich die Hemmschwelle bei solchen Veranstaltungen (Demos) enorm gesunken ist.“ (Pädago-
gische Fachkraft)
Die befragten Jugendlichen haben sich im Unterschied dazu von dem Konsum von Alkohol distan-
ziert.
Ebenfalls ambivalent in der Einschätzung fällt das Setting „Demonstration“ aus. So werden Polizisten
auf Demonstrationen auch als „anonyme Staatsgewalt“ wahrgenommen. Polizisten treten auf in Uni-
form, tragen Helme, manchmal Schlagstöcke etc. Der Mensch hinter der Maskierung ist oft nicht
mehr zu erkennen. Das unterstützt das Sinken der Hemmschwelle bei Demonstranten, die der Ge-
walt als Mittel des Engagements und Protests nicht völlig abgeneigt sind und man übertritt unter
Umständen die legitimen bzw. auch selbstgesetzten Grenzen der Mittelwahl.
„A: Dieser junge Mann, der, ja, der mochte schon die Polizei nicht, das kommt dann auch zum
Ausdruck; und der hatte sicherlich auch – wenn man häufig bei solchen Demonstrationen ist,
lernt man ja die Polizei in facettenreicher Sache kennen –, und hatte natürlich auch Polizisten
kennengelernt, die jetzt nicht unbedingt so superfreundlich den Demonstrationsteilnehmern
gegenüber aufgetreten sind und vielleicht auch teilweise eben sich nicht adäquat verhalten ha-
ben. Und das hatte letztendlich seine Wut auf die Polizei noch enorm verstärkt, und demzufolge
war ihm das in der Situation auch egal, da jemand zu verletzen oder zu treffen.
(…) er hat ein-
fach seine Wut da zum Ausdruck gebracht und kannte ja jetzt nicht unmittelbar den Polizisten,
der ihm gegenübersteht. Das war dann eben die allgemeine Polizei, die er nicht mochte, und da
wollte er schon zum Ausdruck bringen, dass er da gegen so was ist. Das wird ja dann teilweise
auch in Worten da skandiert und – ja.“ (Pädagogische Fachkraft)
Verschärfend kommt für manche Jugendliche hinzu, dass man dieses anonyme Gegenüber als Quelle
von gewaltsamen Aktionen erfährt.
7.
Gewalt erzeugt Gegengewalt - Gewalt ist legitim um sich zu wehren.
Gewalt wird von einigen der Befragten als notwendig erachtet, um sich zu wehren. Fast alle Befrag-
ten, die sich auf Demonstrationen engagieren und protestieren berichten von negativen Erfahrungen
in der Begegnung mit Polizisten oder haben sie bei anderen beobachtet (siehe dazu auch Kapitel
5.1.4.2). Dies führt bei einigen dazu, dass Polizisten als Bedrohung erlebt werden und sie es als legi-
tim betrachten sich gegen Polizisten zur Wehr zu setzen dem Prinzip nach: „Gewalt erzeugt Gegen-
gewalt“. Das gleiche gilt auch für das Engagement gegen Rechte.
„I: Wie stehst du denn zum Thema Gewalt – zum Beispiel als Mittel des Protests oder zur Errei-
chung von Zielen?
A: Muss manchmal sein. Wenn wir Nazis blockieren, damit die zum Beispiel nicht durch eine
Stadt marschieren können, da kann es passieren, dass die auf einen losgehen. Da muss man
sich wehren. Oder auch die Bullen. Ich würde mich immer friedlich wegtragen lassen, aber
wenn ein Bulle völlig grundlos auf mich einprügelt, obwohl ich da nur friedlich auf der Straße
sitze, also gerade mal eine Ordnungswidrigkeit begehe, höchstens, da kann es schon passieren,
dass man sich wehrt. Obwohl ich mich eigentlich nie schlage.“ (m)
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