Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel - page 105

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Gesellschaftliches bzw. politisches Engagement, Jugendprotest und die Wahl der Mittel
der Mitbestimmungsrechte der Bürger, über die Bewahrung von Freiräumen bis hin zu dem Wunsch
nach Selbstverwaltung und der Abschaffung staatlicher Organe. Veränderungswünsche werden von
den Befragten reflektiert, dabei werden auch die Grenzen und Hindernisse einer Umsetzung disku-
tiert. Das eigene Engagement soll Spaß machen und das Bedürfnis nach Zugehörigkeit befriedigen.
Dementsprechend sind nicht nur die Themen, sondern auch die Peers zentral dafür, wo und wie man
sich engagiert. Außerdem möchte man mit seinem Engagement „etwas sinnvolles zu tun“.
Engagement und Protest tragen zur Entwicklung von Kompetenzen bei. Die Reaktionen aus dem so-
zialen Umfeld sind gemischt, Anerkennung kommt vor allen Dingen von denen, die sich selbst auch
engagieren. Von Seiten mancher Eltern und anderer Verwandter werden die Grenzen des Engage-
ments betont und es besteht Sorge darüber, dass Gewalt als Mittel eine Rolle spielen könnte. Außer-
dem bestehen Ressentiments gegenüber dem Engagement in bestimmten Gruppen wie bspw. bei
den Autonomen.
In der Öffentlichkeit sind die Wahrnehmungen ähnlich divers. Zum einen wird Engagement aner-
kannt, vor allen Dingen von Menschen, die sich selbst engagieren oder aber die Haltung der Enga-
gierten teilen. An die Medien wird der Vorwurf erhoben den Gewaltaspekt in den Vordergrund zu
stellen ohne zu differenzieren. Dementsprechend besteht bei den Befragten auch die verbreitete
Erfahrung, dass man mit seinem Engagement und Protest erst wahrgenommen werde, wenn die
legalen Grenzen des Mitteleinsatzes überschritten werden.
Jugendliche, die sich engagieren und protestieren, machen das mit Unterstützung von anderen
Peers, die sie sich entsprechend gemeinsamer Interessen suchen. Dabei ist das Engagement zunächst
zweitrangig, entsprechend dem Bedürfnis nach Gemeinschaft und der Suche nach Zugehörigkeit
schließt man Freundschaften und sucht sich Freunde mit gemeinsamen Interessen. Als Formen der
Vergemeinschaftung wählen die Befragten Szenen und Gruppen in Szenen. Die Struktur von Szenen
entspricht ihrem Bedürfnis nach Autonomie und Selbstbestimmung, es werden keine formalen Mit-
gliedschaften erwartet, ein engagieren und aufhören ist jederzeit möglich. Gleichzeitig erfahren sie in
den Gruppen und Szenen Orientierung. Durch die Rückbindung des Engagements an den Lebensall-
tag erhalten sie somit in einer Welt voller Optionen und Unsicherheiten Anweisungen und Hilfestel-
lungen zur individuellen Lebensbewältigung.
Die Suche nach Zugehörigkeit besteht in dem Wunsch nach Zuordnung. Die Zugehörigkeiten sind
eher lose, man bewegt sich den eigenen Interessen entsprechend in unterschiedlichen Zusammen-
hängen. Teilweise engagiert man sich in Gruppen, zum Teil aber auch nicht. Trotzdem besteht der
Anspruch der Rückbindung an eine Gemeinschaft. Dies geschieht z.B. durch gemeinsame Events wie
Demonstrationen.
Bei den Befragten ist eine Vielfalt an Zugängen und theoretischen Bezügen auszumachen, mit dem
sie ihr Engagement bzw. ihren Protest begründen. Dabei wird deutlich, dass sie keinem deduktiven
Plan folgen, sondern es vielmehr ein Konglomerat an theoretischen Bezügen ist, die für das individu-
elle Engagement herangezogen werden. Theorie wird nicht von allen Befragten als positiv gewertet –
es gibt Befragte, bei denen vielmehr das Tun im Vordergrund steht, andere verbinden in der Ausei-
nandersetzung mit Theorie eher die Befürchtung einer Spaltung der Engagierten.
Die Wahl der Mittel geschieht entsprechend der gesetzten Ziele. Allem voran ist die Erlangung von
Aufmerksamkeit für die eigenen Anliegen. Die individuellen Grenzen sind verschieden – sie werden
bei friedlich, bei Eigengefährdung, zwischen legalen und illegalen Mitteln gezogen. Dementsprechend
ist auch die Wahl der Mittel auf der individuellen Ebene sehr heterogen. Es wird zwischen den eige-
nen Grenzen und den Grenzen der Anderen differenziert. In diesem Kontext wird auch Gewalt als
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