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4. Wie erheben Lehrkräfte den Lernstand und legen Schwerpunkte der pädagogischen Förderung fest?
?
Über welche Voraussetzungen verfügt das Kind? Welche grundlegenden Einsichten fehlen? Welche
Prozesse laufen beim Lösen von Aufgaben ab?
Die Lehrkraft beobachtet, dass Marie alle Aufgaben zählend löst. Sie hat klar verknüpft, dass Addie-
ren ein Weiterzählen, Subtrahieren ein Rückwärtszählen nach sich zieht.
Dieses Operationskonzept ist für Aufgaben im zweistelligen Bereich aber nicht tragfähig.
Es müsste nun festgestellt werden, ob Marie zweistellige Zahlen mit dem dekadischen Material (Zeh-
nerstangen/Einerwürfel) darstellen kann und Addieren auch mit einer Handlung des Dazulegens,
Subtrahieren mit einer Handlung des Wegnehmens verbinden kann.
Rechenfehler entstehen nicht zufällig. Fehllösungen der Schülerin bzw. des Schülers beruhen in der Regel auf individuellen
und für die Schülerinnen und Schüler schlüssig erscheinenden Regeln und Lösungsstrategien. Sie treten bei ähnlichen Auf-
gaben meistens in gleicher Form auf. Fehler bieten eine Möglichkeit zu erfahren, wie die Schülerinnen und Schüler denken,
welche Strategien sie verfolgen, welche Rechenwege sie sich angeeignet haben. Die Lehrkraft kann dann
•
mögliche Ursachen für die Fehlleistungen herausfinden,
•
die falschen Strategien der Schülerin bzw. des Schülers erkennen,
•
individuelle Hilfen für die Schülerin bzw. den Schüler suchen,
•
ihr methodisch-didaktisches Vorgehen überdenken.
Hilfen bei der Fehleranalyse:
•
Analyse schriftlich vorliegender Arbeiten (z. B.: Hausaufgaben, Probearbeiten, Lerntagebücher, Portfolioeinträge) zur
Herausarbeitung möglicher individueller Fehlerschwerpunkte
•
Zusammenstellen von pädagogisch-diagnostischen Aufgabensätzen zur vermuteten Schwierigkeit (Aufgaben mit glei-
cher mathematischer Struktur oder sukzessive aufsteigendem Schwierigkeitsgrad, siehe Kapitel 4.2, S. 20) zur differen-
zierteren Einsicht in den individuellen Leistungsstand (Stärken-Schwächen-Analyse)
•
Interviews mit der Schülerin bzw. dem Schüler, um die aus der Analyse der Schülerdokumente abgeleiteten Vermu-
tungen zu überprüfen: Gleiche Fehlermuster können auf verschiedene Weise zustande kommen, richtigen Lösungen
kann eine falsche Strategie zugrunde liegen. Die Schülerin bzw. der Schüler erklärt seinen Lösungsweg, rechnet eine
strukturgleiche Aufgabe laut vor (lautes Denken). Die Lehrkraft beobachtet die Schülerin bzw. den Schüler beim Lösen
der Aufgabe.
•
Erklärungen des Kindes mithilfe didaktischer Materialien (vgl. 5.1.1, S. 29) verdeutlichen, welche Verstehensprobleme
vorliegen.
Im Anschluss an diese individuelle Fehleranalyse erhalten die Schülerinnen und Schüler passgenaue Lernangebote, die ihren
individuellen Lernprozess positiv begleiten.
Beispiele für Schwierigkeiten im Lernprozess und Fehllösungen:
•
verfestigtes zählendes Rechnen
13 – 5 = 9
9 + 6 = 14
Hinweise auf zählendes Rechnen sind +1/–1 Fehler, da die Kin-
der die Finger falsch verwenden.
13 – 5 = 9
(
13
mitgezählt)
9 + 6 = 14
(
9
mitgezählt)
•
Probleme beim Stellenwertverständnis
50 + 3 = 80
60 – 1 = 50
49 + 1 = 59
50 + 3, 60 – 1, 49 + 1
(Es wird zum falschen Stellenwert
addiert bzw. vom falschen Stellenwert subtrahiert.)
45 = 54
45 = 54
(Zahlen werden als gleich groß angesehen, da beide
aus den Ziffern
4
und
5
gebildet sind, Stellenwert wird nicht
beachtet.)
79 > 80
79 > 80
(in der Zahl
79
steckt die
9, 9
>
8
, also
79
>
80
)