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Ein Länderporträt über Palästina
Einsichten und Perspektiven 4 | 16
Religiöse und politische Befindlichkeiten zwängen die
Meinungsfreiheit in Palästina in ein enges Korsett. Der
Karikatur liegt zudem ein gänzlich anderes Konzept
zugrunde, als es die europäischen Kollegen für sich bean-
spruchen.
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Saba’aneh sagt, er wolle mit seiner Kunst auf
die Probleme des palästinensischen Volkes aufmerksam
machen. Das gilt für viele seiner Kollegen: Nach dem
Witz ohne tieferen Sinn sucht man meist vergeblich.
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Die
Ablehnung der scheinbar moral- und sinnfreien Satire, die
vor nichts und niemandem Halt macht, ist nicht unbe-
dingt eine Eigenheit islamisch geprägter Länder. Es ist
vielmehr Ausdruck religiös geprägter Gesellschaften, die
konträr zu solchen stehen, in welchen der Mehrheitsbe-
völkerung nichts mehr heilig zu sein scheint. Suleiman
Mansour, einer der bekanntesten palästinensischen Maler,
ist wie ungefähr zwei Prozent seiner Landsleute Christ.
„Wenn ich die Mohammed-Karikaturen sehe, macht es
mir nichts aus, aber für viele ist es beleidigend. Religions-
kritik ist in Ordnung, aber über den Glauben anderer zu
lachen, ist es nicht“, sagt er über die europäische Debatte.
31 Dort halten es schließlich viele mit Tucholsky: Satire darf alles. Oftmals
nimmt sie einen nihilistischen oder dadaistischen Charakter an. Sie ver-
biegt und verlacht. Wer diese Art von Humor nicht kennt oder ihr nichts
abgewinnen kann, sagt auch: Sie verletzt. Karikaturen aus der Region des
Nahen Ostens sind dagegen meistens eine Spielart politisch ambitionier-
ter Kunst. Sie kritisieren, prangern an, zeigen Ungerechtigkeiten auf.
32 Eine junge Entwicklung sind Videos aus arabischen Ländern, die sich über
den selbsternannten „Islamischen Staat“ lustig machen. Sie nehmen keine
Rücksicht auf die Vorwürfe, dass dessen Gräueltaten damit verharmlost
würden. Damit stoßen sie allerdings in großen Teilen der Bevölkerung auf
Unverständnis.
In Palästina herrscht ein schwieriges Klima für Künstler
und Journalisten. Nach einer Umfrage sind nur 16 Pro-
zent der Bevölkerung im Westjordanland der Meinung,
dass es dort Pressefreiheit gebe. Nur ein Drittel der Men-
schen gibt an, die Palästinensische Autonomiebehörde
öffentlich kritisieren zu können, ohne Angst zu haben.
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„Wir sagen nicht, dass die Situation ideal ist“, gibt der
palästinensische Informationsminister Mahmud Khalefa
zu.
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„Es gibt Verletzungen der Meinungsfreiheit. Es gibt
aber auch die, die sagen, sie seien aus diesem Grund ver-
haftet worden, bei denen aber eine kriminelle Tat vorlag“,
so Khalefa. Und man dürfe bei den Zahlen nicht ver-
gessen, dass jedes Mal, wenn ein Journalist, ein Fotograf
33 Der Anteil der Bewohner Gazas, die dasselbe glauben, liegt noch darunter
(14 Prozent). Vgl. Palestinian Center for Policy and Survey Research (PSR):
Palestinian Public Opinion Poll No. 61, 27.09.2016, S. 4,
http://pcpsr.org/sites/default/files/Poll-61-English%20Full%20Text%20%20desgine.pdf
[Stand: 16.11.2016].
34 Hier und im Folgenden vgl. Milz (wie Anm. 25).
Mirvat Sadeq arbeitet für den Nachrichtensender Al-Jazeera.
Informationsminister Mahmud Khalefa räumt Verletzungen der Meinungs-
freiheit in Palästina ein.