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Ein Länderporträt über Palästina

Einsichten und Perspektiven 4 | 16

provisorischen Hauptstadt Ramallah, in der die gesamte

Zivilverwaltung und die Verantwortung für die Sicherheit

den Palästinensern obliegt (Zone A), kaum ein israelischer

Soldat denWeg der Passanten kreuzt, haben Bewohner der

Stadt Bethlehem, an dessen nördlicher Grenze die bis zu

acht Meter hohe israelische Sperranlage verläuft, ständig

Berührung mit dem Militär. Viele Bewohner Bethlehems,

deren Heimatstadt mit der Geburtskirche Jesu zahlreiche

Touristen anzieht, gehören der christlichen Minderheit in

Palästina an, die stetig schwindet.

56

Ein kaum zu lösendes Problem stellen die jüdischen

Siedlungen im Westjordanland dar. Durch den steten

Ausbau werden auf dem Gebiet eines potentiellen Paläs-

tinenserstaates von der israelischen Regierung Fakten

geschaffen, die sich nur schwer wieder rückgängig machen

lassen. Naftali Bennett von der Partei HaBajit haJehudi

(„Jüdisches Heim“), der Koalitionspartner des israeli-

schen Premiers Netanjahu, spricht sich sogar offen für die

Annexion des Westjordanlandes aus – für ihn und seine

Anhänger handelt es sich nicht um palästinensisches Ter-

ritorium, sondern in Anlehnung an die Tora um „Judäa“

und „Samaria“. Auf einer Fahrt durch das Land stechen

die von israelischen Soldaten geschützten Bereiche sofort

ins Auge: Die Infrastruktur ist intakt, die Häuser sind

oftmals nur wenige Jahre alt. Dennoch spricht Bennett

davon, dass die jüdischen Siedler – mit Blick auf die israe-

lische Gesellschaft – bislang „Bürger zweiter Klasse“ seien.

Zusammen mit der Likud-Partei des Ministerpräsidenten

brachte Bennett kürzlich einen Gesetzesentwurf ein, der

viele Siedlungen im Nachhinein legalisieren soll, obwohl

sie – unter Duldung der Regierung – gesetzeswidrig auf

privatem Grund von Palästinensern entstanden sind.

57

Mitte November stimmte das israelische Ministerkomi-

tee einstimmig für den Entwurf, obwohl Netanjahu sich

dagegen ausgesprochen hatte. Das Gesetz, das vermutlich

nicht in Kraft treten wird – der Oberste Gerichtshof wird

es voraussichtlich für ungültig erklären – zwänge palästi-

56 1994 lebten noch knapp 50.000 Christen in Palästina. Mehr als ein Fünftel

sollen das Gebiet mittlerweile verlassen haben. Auch die Gründe für das

Schwinden der christlichen Bevölkerung sind ein Politikum und ständiger

Gegenstand ideologischer Auseinandersetzung: Während die israelische

Regierung genauso wie ihr wohlgesonnene Gruppen das Erstarken isla-

mistischer Strömungen dafür verantwortlich sieht, ist von palästinensi-

scher Seite zu hören, dass die israelische Besatzung den Christen zusetzt.

57 Hier und im Folgenden vgl. den Bericht von Jochen Stahnke: Isra-

el will Siedlungen legalisieren, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom

15.11.2016, S. 7. Hintergrund ist die Entscheidung des Obersten Gerichts-

hofs, der bis zum 25. Dezember 2016 die Räumung und Zerstörung der

jüdischen Siedlung

Amona

mit rund vierzig Familien angeordnet hatte;

einen Antrag auf Fristverlängerung hatten die Richter abgelehnt.

nensische Privateigentümer, ihre Grundstücke an jüdische

Bewohner offiziell abzugeben. Als Abfindung erhielten sie

eine Zahlung von 125 Prozent des derzeitigen Wertes oder

ein „gleichwertiges“ Stück Land irgendwo imWestjordan-

land. Geschützt wird der illegale Ausbau der Siedlungen

vom israelischen Militär, das in diesen Zonen über die

Sicherheit wacht.

Zwischen Eigentumswohnung und Flüchtlingslager

Die israelische Besatzung bringt auch wirtschaftliche

Probleme für die Palästinenser mit sich.

58

Ein Beispiel

dafür ist

Rawabi

(„Hügel“), eine Planstadt des palästinen-

sischen Unternehmers Bashar Masri

59

neun Kilometer

nördlich von Ramallah. Seit 2008 entwickelt der mäch-

58 Einem UN-Bericht zufolge könnte sich die Wirtschaftskraft im Palästi-

nensergebiet verdoppeln, wenn die Besatzung beendet wird. Vgl. United

Nations Conference on Trade and Development: Report on UNCTAD as-

sistance to the Palestinian People, 01.09.2016,

http://unctad.org/en/

PublicationsLibrary/app2016d1_en.pdf [Stand: 16.11.2016].

59 Hintergründe zu Masri liefert Daniel Gerlach: Ein politischer Investor, in:

Gerlach/Meier (wie Anm. 26), S. 122.

Die riesige palästinensische Flagge in der Modellstadt Rawabi wirkt wie ein

entschlossener Gruß an die nächstgelegene jüdische Siedlung.