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Ein Länderporträt über Palästina

Einsichten und Perspektiven 4 | 16

gliedern.

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Um dieser Maßnahme zu entgehen, können

Ostjerusalemer die israelische Staatsangehörigkeit bean-

tragen – was die meisten aber nicht einmal in Betracht

ziehen, da damit ein Eid auf Israel verbunden ist. Viele

Palästinenser in Israel boykottieren sowohl Steuerzah-

lungen als auch die Wahlen zum Jerusalemer Gemeinde-

rat. An den Wahlen in Palästina dürfen sie per Briefwahl

als „im Ausland lebende Palästinenser“ teilnehmen.

Der Sonderstatus der Ostjerusalemer Palästinenser

führt zu kafkaesken Situationen: So müssen beispielsweise

Besucher aus demWestjordanland eine Genehmigung des

israelischen Innenministeriums einholen. Das gilt auch

für Ehegatten, die keine blaue Karte vorweisen können.

Seit der zweiten Intifada wird diese Erlaubnis aber kaum

mehr erteilt. Die Aufenthaltsgenehmigungen palästinen-

sischer Ehefrauen aus dem Westjordanland, die jahrelang

bei ihrem Partner in Ostjerusalem gelebt hatten, werden

oftmals nicht verlängert – der Ehemann aber verliert sein

Wohnrecht in der Heimat, wenn er Ostjerusalem dauer-

haft verlässt.

80

Anträge auf Familienzusammenführung

werden häufig abgelehnt.

81

In einem Bericht der EU von

2011 ist von 10.000 Kindern die Rede, die ohne Aufent-

haltsrecht in Ostjerusalem leben, weil ein Elternteil aus

dem Westjordanland stammt.

82

Aufgrund der schwierigen

rechtlichen Situation, in der sich ein „gemischtes“ Paar

befindet, wurden spezielle Gebiete zwischen dem West-

jordanland und Ostjerusalem wie

Kufr aqab

geschaffen, in

denen wegen der Abwesenheit von israelischen und paläs-

tinensischen Sicherheitskräften eine hohe Kriminalität

herrscht: Nur hier leben sie legal und ohne Konsequenzen.

Es gibt keinen Nahverkehr, keine funktionierende Infra-

struktur. Von Jerusalem sind sie durch eine Mauer abge-

trennt, Richtung Ramallah wartet ein israelischer Check-

point. Sie dürfen zwar beide ins Westjordanland, sich aber

nicht dauerhaft dort niederlassen. Nach Jerusalem darf

79 Vgl. Ariel David: Who are East Jerusalem’s ‚Permanent Residents’?, in:

Ha’Aretz, 09.12.2014,

http://www.haaretz.com/israel-news/.premium-

1.630605 [Stand: 16.11.2016].

80 Das ist bis 2014 14.481 Menschen widerfahren. Vgl. B’Tselem: Statistics

on Revocation of Residency in East Jerusalem, 27.05.2015, http://www.

btselem.org/jerusalem/revocation_statistics

[Stand: 16.11.2016].

81 2003 wurde das „Gesetz über die Nationalität und die Einreise nach Is-

rael“ verabschiedet, das alle Anträge auf Familienzusammenführung ein-

fror und Palästinensern aus dem Gazastreifen und dem Westjordanland

verbot, zu ihren Ehepartnern nach Ostjerusalem zu ziehen. 2006 wurde

das Gesetz vom Obersten Gerichtshof offiziell bestätigt, nach zahlreichen

Klagen erklärte er es im Jahr 2012 noch einmal für verfassungskonform.

82 Vgl. Amira Hass: EU Delegates: Palestine Liberation Organization Should

Return to Jerusalem, in: Ha’Aretz, 18.01.2012,

http://www.haaretz.com/

israel-news/eu-delegates-palestine-liberation-organization-should-re-

turn-to-jerusalem-1.407864 [Stand: 16.11.2016].

nur der Partner mit der blauen Karte – für den anderen

ist es unmöglich, zum Beispiel die Familie des Gatten zu

besuchen, wenn diese in Ostjerusalem beheimatet ist.

Nicht nur dieses Niemandsland, sondern ganz Ostjeru-

salem ist hinsichtlich infrastruktureller Projekte vernach-

lässigt – im Juni 2014 beschloss die Regierung jedoch,

fast 300 Millionen Schekel (mehr als 70 Millionen Euro)

in Infrastruktur und Sicherheit zu investieren.

83

Das ist

auch bitter nötig, denn Ostjerusalem platzt aus allen Näh-

ten: Die durchschnittliche Geburtenrate der Palästinen-

ser liegt weit höher als die der Israelis. Palästinensische

Frauen gebären im Schnitt 4,2 Kinder, israelische Frauen

3,1.

84

Für die palästinensischen Einwohner Ostjerusalems

werden jedoch kaum Baugenehmigungen erteilt, wäh-

rend gleichzeitig allein im Zeitraum von 1967 bis 2001

46.978 Wohneinheiten für jüdische Siedler geschaffen

wurden.

85

Häuser, die ohne Genehmigung gebaut wer-

den, können jederzeit wieder abgerissen werden. Darüber

hinaus ermöglicht es ein Gesetz, Eigentum, das vor 1948

jüdischen Bewohnern Ostjerusalems gehörte, die im Zuge

des Kriegs flohen, wieder zurückzufordern – mittlerweile

forschen politisch motivierte Organisationen nach Nach-

kommen der jüdischen Flüchtlinge.

Leben in Gaza

Es bleibt ein Blick auf die dritte Insel der Palästinenser,

Abeer Ayyoubs Heimat Gaza. Fast 1,8 Millionen Men-

schen leben in dem schmalen Küstenstreifen von 360

Quadratkilometern.

86

Er besteht hauptsächlich aus Sand

und Dünen – nur 14 Prozent der Fläche sind für die

Landwirtschaft nutzbar. Die allgemeine Arbeitslosigkeit

liegt nach Angaben der Weltbank bei 42, die Jugendar-

beitslosigkeit bei 58 Prozent.

87

Ausweichmöglichkeiten

gibt es nicht, denn die Grenzen sind dicht: Im Norden

und Osten steht das israelische Militär, im Süden das

ägyptische, im Westen: Wasser, soweit das Auge reicht.

83 Vgl. Barak Ravid u. Nir Hasson: Cabinet Approves Plan to Tighten Is-

raeli Control over East Jerusalem, in: Ha’Aretz, 29.06.2014, http://www.

haaretz.com/israel-news/.premium-1.601894

[Stand: 16.11.2016].

84 Die Geburtenrate der Palästinenser ist seit 1990 konstant rückläufig –

damals lag sie noch bei 6,7 Kindern pro Frau. Die israelische Entwick-

lung ist gegenläufig, 1990 waren es noch 2,7 Kinder pro Frau. Vgl. die

Daten der Weltbank unter

http://data.worldbank.org/indicator/SP.DYN. TFRT.IN?locations=PS

u.

http://data.worldbank.org/indicator/SP.DYN.TFRT.

IN?locations=IL [Stand: 16.11.2016].

85 Vgl. Yaron (wie Anm. 17), S. 165.

86 Vgl. The World Factbook: Gaza Strip,

https://www.cia.gov/library/publications/

the-world-factbook/geos/gz.html [Stand: 16.11.2016].

87 Vgl. The World Bank: West Bank and Gaza. Overview, 01.10.2016, http://www.

worldbank.org/en/country/westbankandgaza/overview

[Stand: 16.11.2016].