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Ein Länderporträt über Palästina

Einsichten und Perspektiven 4 | 16

tigste Unternehmer Palästinas, der 2011 eine Einstellung

der Entwicklungshilfe nach Palästina forderte, um die

Entstehung einer nationalen Wirtschaft überhaupt zu

ermöglichen, zusammen mit einem Unternehmen aus

Katar die Retortenstadt, in der einst 40.000 Menschen

leben sollen. Dafür werden 800 Millionen US-Dollar

investiert. Rawabi, die Stadt aus hellem Stein, liegt in

Zone A, weshalb die Planungshoheit bei der Palästinen-

sischen Autonomiebehörde liegt. Es gibt jedoch ein Pro-

blem: Die Zufahrtsstraße liegt zum Teil in Zone C und

unterliegt daher israelischer Kontrolle. Eine endgültige

Genehmigung der israelischen Behörden des Baus der

Straße ließ lange auf sich warten. Auf dem gegenüberlie-

genden Hügel befindet sich die jüdische Siedlung Ateret.

Masri hat den beteiligten Firmen vorgeschrieben, dass

nicht eine einzige in jüdischen Siedlungen produzierte

Schraube verwendet werden darf

60

– auf die Beteiligung

von Firmen aus Israel ist der Unternehmer allerdings

sogar angewiesen, weil ein großer Teil des benötigten

Materials im Westjordanland schlicht nicht erhältlich

ist. Deshalb ist das gigantische Projekt auch unter Paläs-

tinensern umstritten, doch viele, die heute auf Masris

Baustellen arbeiten, haben zuvor auf der Suche nach

Arbeit

61

auch jüdische Siedlungen gebaut. Auch Israel

reagierte auf Masris Aussage: Die Knesset verabschiedete

im Juli 2011 ein Gesetz, das den Boykott von Produk-

ten aus den Siedlungen verbietet.

62

Für den Palästinenser

Masri persönlich gilt dieses Gesetz nicht; es war daher

vielmehr eine deutliche Nachricht an israelische Firmen,

die an seinem Projekt mitwirken. Ein anderes Problem

ergab sich aus der Tatsache, dass das Trinkwassernetz im

Westjordanland von Israel betrieben wird. Erst im April

2015 wurde Rawabi daran angeschlossen – nachdem

bereits Monate zuvor etliche Mietverträge für die Stadt

unterschrieben wurden. Die Mieter konnten nicht ein-

ziehen, da sie auf dem Trockenen gesessen wären.

Ohnehin ist eine Wohnung in Rawabi nur für einen

geringen Teil der palästinensischen Bevölkerung über-

haupt erschwinglich: Das jährliche Pro-Kopf-Einkommen

60 Vgl. Andreas Hackl: Rawabi, die palästinensische Zukunft, in: Der Standard,

03.12.2011,

http://derstandard.at/1322872835701/Jerusalem-Geschichten-

aus-Nahost-Rawabi-die-palaestinensische-Zukunft [Stand: 16.11.2016].

61 Die Arbeitslosenquote im Westjordanland lag 2014 bei geschätzten 18

Prozent. Vgl. The World Factbook (wie Anm. 24).

62 Das Gesetz war auch unter Israelis höchst umstritten. Zu den Reaktio-

nen vgl. Ulrike Putz: Anti-Boykott-Gesetz erzürnt Israelis, in: Spiegel

Online, 12.07.2011,

http://www.spiegel.de/politik/ausland/debatte-ueber-

meinungsfreiheit-anti-boykott-gesetz-erzuernt-israelis-a-774018.html

[Stand: 16.11.2011].

in Palästina liegt bei unter 3.000 US-Dollar.

63

Der Durch-

schnittswert ist jedoch nur bedingt aussagekräftig: „Die

Hälfte der palästinensischen Bevölkerung lebt in extremer

Armut“, heißt es auf der Seite des Auswärtigen Amts. Das

trifft insbesondere auf Gaza zu, aber auch im Westjordan-

land und Ostjerusalem leben viele Menschen unterhalb

der Armutsgrenze, während andere das korrupte System

nutzen und sich bereichern. Die Korruption wird auch

dadurch begünstigt, dass die palästinensische Ökonomie

kaum eine Chance hat, selbsttragende Wirtschaftsstruktu-

ren zu entwickeln. Die Wirtschaft ist gänzlich von Israel

abhängig, fast drei Viertel der Waren werden aus Israel

importiert, etwa 86 Prozent dorthin exportiert.

64

Die

am weitesten verbreitete Währung im Westjordanland

ist der israelische Schekel. Das Hauptprodukt der paläs-

tinensischen Landwirtschaft ist Olivenöl: Fast die Hälfte

der Agrarflächen ist mit Olivenbäumen bepflanzt, deren

Zweige als Symbol für den Frieden gelten. Investoren aus

dem Ausland haben sich wegen der anhaltenden Gewalt

insbesondere während der zweiten Intifada wieder zurück-

gezogen. Auch der Tourismus ist deshalb auf niedrigem

Niveau. Der am meisten boomende Sektor ist derzeit das

Bauwesen – das gigantische Projekt Rawabi spielt in die-

sem Zusammenhang eine wichtige Rolle.

63 So die Angaben der palästinensischen Behörde PCBS. Vgl. Auswärtiges

Amt: Palästinensische Gebiete, April 2016,

http://www.auswaertiges

-amt.

de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-Nodes_Uebersichtsseiten/

PalaestinensischeGebiete_node.html [Stand: 16.11.2016].

64 Vgl. Ghorfa. Arab-German Chamber of Commerce and Industry: Wirtschafts-

daten Palästina, September 2013,

http://ghorfa.de/wp-content/uploads/

2016/01/WD_Palaestina.pdf [Stand: 16.11.2016].

Die palästinensische Bevölkerung ist sehr jung. Kinder von Schafhirten

spielen im Freien, während ihre Eltern die Tiere hüten.