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Ein Länderporträt über Palästina
Einsichten und Perspektiven 4 | 16
Beobachter sind davon überzeugt, dass viele Wähler mit
der Wahl der
Hamas
ausschließlich eine Abstrafung der
Fatah
im Sinn hatten. Dass sie damit politische und reli-
giöse Repression gleich mitwählten, erschien ihnen offen-
sichtlich als das kleinere Übel.
Die in Ramallah regierende
Fatah
ist jedoch nicht
nur eine Meisterin der Klüngelpolitik, sondern auch
eine der Selbstzerfleischung: Im November 2016 kam
es zu heftigen Schießereien in den größeren Städten des
Westjordanlandes Ramallah, Nablus und Dschenin.
40
In
den dortigen Flüchtlingslagern fanden Gefechte loka-
ler Milizen und der Sicherheitskräfte der Palästinensi-
schen Autonomiebehörde statt. Hintergrund dafür ist
eine Auseinandersetzung innerhalb der
Fatah
: Der seit
zwölf Jahren regierende 81-jährige Palästinenserpräsident
Abbas, der sich zuletzt 2005 einer Wahl stellte, wird von
Mohammad Dahlan herausgefordert, einem ehemaligen
Günstling Arafats, der als erfolgreicher Geschäftsmann
im Exil am Golf weilt, sich aber für einen Generatio-
nenwechsel in Palästina positioniert. Dahlan, der selbst
in einem Flüchtlingslager geboren wurde, hat hier seine
treuesten Anhänger. Nach Arafats Tod im Jahr 2004
war Dahlan palästinensischer Innenminister, überwarf
sich jedoch 2010 mit Abbas, nachdem er dessen Söhne
öffentlich der Korruption beschuldigte – der Palästi-
nenserpräsident wiederum bezichtigte Dahlan des Gift-
mordes an Arafat
41
und erreichte dessen Verurteilung in
Abwesenheit. Gegenwärtig versucht Mohammad Dahlan
sich mithilfe des „Arabischen Quartetts“ – Ägypten, Jor-
danien, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen
Emirate – als Nachfolger Abbas’ ins Spiel zu bringen
42
,
auch wenn er nach außen bescheiden den palästinensi-
schen Volkshelden Marwan al-Barghouthi
43
als Präsiden-
tenanwärter propagiert.
Die politischen Grabenkämpfe im Westjordanland ste-
hen dem imWeg, was lange auch international unter dem
40 Hier und im Folgenden vgl. Peter Münch: Gewaltsamer Generationen-
wechsel, in: Süddeutsche Zeitung vom 07.11.2016, S. 6.
41 Um die Todesursache des langjährigen Palästinenserpräsidenten ranken
sich diverse (Verschwörungs-)Theorien. Vgl. Dinkelaker (wie Anm. 26),
S. 51.
42 Diese Staaten präsentierten jüngst einen Plan für Palästina, der sich für
eine Versöhnung der Fatah mit der Hamas ausspricht, Friedensverhand-
lungen mit Israel fordert – und eine Rückkehr Mohammad Dahlans ins
Westjordanland verlangt.
43 Barghouthis Chancen auf das Amt sind eher gering: Er sitzt wegen seiner
Rolle während der zweiten Intifada – er war in mehrere Anschläge mit
Todesopfern verwickelt – eine Haftstrafe von fünfmal lebenslänglich in
Israel ab. Ein Porträt über den Politiker findet sich bei Christoph Dinkela-
ker: Volkstribun hinter Gittern, in: Gerlach/Meier (wie Anm. 26), S. 58 f.
Schlagwort „Fayyadismus“
44
gefeiert wurde: die Schaffung
einer realen Grundlage für die Anerkennung eines paläs-
tinensischen Staates.
45
Der promovierte Ökonom und
Premierminister Salam Fayyad
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fuhr ab 2009 unter dem
Motto „Die Besatzung beenden, den Staat errichten“ eine
offensive und durchaus erfolgreiche Reformpolitik, die
Korruption bekämpfte und quasi-staatliche Infrastruktur
aufbaute. Fayyad war nach der politischen Spaltung der
Palästinensergebiete im Jahr 2007
47
von Palästinenser-
präsident Abbas zum Kopf einer „Notstandsregierung“
ernannt worden. Der neue Premier ging hart gegen jede
Aktivität der Islamisten im Westjordanland vor; dasselbe
galt allerdings auch für Journalisten, die der
Hamas
nahe-
standen oder schlicht kritisch berichteten.
Doch Fayyad nahm sich auch die
Fatah
vor: 2011 befan-
den die Weltbank
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und der Internationale Währungsfonds,
dass Fayyad „die zuvor für Vetternwirtschaft, wirtschaftli-
che Stagnation und Sicherheitschaos berüchtigte PA von
Grund auf reformiert habe“
49
. Die damalige US-Außenmi-
nisterin Hillary Clinton wurde gar mit den Worten zitiert,
dass es nur drei Personen in Ramallah gebe, die das volle
Vertrauen Washingtons genössen: „Fayyad, Fayyad und
nochmals Fayyad“.
50
Auch das israelische sicherheitspoli-
tische Establishment zollte dem Erfolg Respekt: In Anbe-
tracht des eigenen Sicherheitsinteresses und der konstrukti-
ven Zusammenarbeit mit der palästinensischen Regierung
44 In der
New York Times
definierte der Reporter Friedman den Begriff:
„Fayy-
adism is based on the simple but all-too-rare notion that an Arab leader’s
legitimacy should be based not on slogans or rejectionism or personality
cults or security services, but on delivering transparent, accountable ad-
ministration and services.”
Thomas L. Friedman: Green Shoots in Palestine,
in: New York Times, 04.08.2009,
http://www.nytimes.com/2009/08/05/opinion/05friedman.html [Stand: 13.11.2016].
45 Vgl. hier und im Folgenden: Judith Althaus u. Michael Bröning: „Arabi-
scher Frühling“ in Palästina, in: Arabische Zeitenwende. Aufstand und
Revolution in der arabischen Welt, Bonn 2012, S. 221–231, hier S. 228 f.
46 2005 gründete Fayyad zusammen mit der Politikerin Hanan Aschrawi die
Kleinpartei „Der Dritte Weg“, er war also kein Mitglied der Fatah. Ein Port-
rät des Politikers findet sich bei Daniel Gerlach: Der heimliche Staatsgrün-
der, in: Gerlach/Meier (wie Anm. 26), S. 56 f.
47 Nach dem Wahlerfolg der Hamas im Jahr 2006 wurde zunächst deren
führender Kopf Ismail Haniyeh palästinensischer Premier. Abbas setzte
ihn jedoch im Juni 2007 ab, was dieser nicht anerkannte und mit seinem
Kabinett in Gaza weiterarbeitete. Ein Porträt des studierten Linguisten
und ehemaligen Dekans der Islamischen Universität in Gaza-Stadt, der
innerhalb der Hamas als Pragmatiker gilt, ist nachzulesen bei Christoph
Dinkelaker: Gute Miene zum bösen Spiel?, in: Gerlach/Meier (wie Anm. 26),
S. 54.
48 Vgl. World Bank (Hg.): Sustaining Achievements in Palestinian Institution-
Building and Economic Growth, Washington 2011.
49 Althaus/Bröning (wie Anm. 45), S. 228.
50 Gerlach (wie Anm. 46), S. 56.