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Ein Länderporträt über Palästina
Einsichten und Perspektiven 4 | 16
tenpalast. Während in Europa über Karikaturen diskutiert
wurde, die den Propheten als Terroristen darstellen oder
den Gründer des Islam ins Lächerliche ziehen, erregte im
Westjordanland dieses ganz andere Bild die Gemüter. „Es
ist nötig, mit abschreckenden Mitteln gegen jene vorzu-
gehen, die für diesen schrecklichen Fehler verantwortlich
sind“, erklärte Palästinenserpräsident Abbas gegenüber
der heimischen Nachrichtenagentur WAFA die Einset-
zung der Untersuchungskommission.
Auf seiner Facebook-Seite verteidigte sich derweil der
Karikaturist, er habe lediglich den Islam verteidigen wol-
len. Dabei habe er dieselben Mittel gewählt wie manche
Kollegen, die den Propheten beleidigen. Zwei Tage nach
Erscheinen der Karikatur Saba’anehs entschuldigte sich
das Regierungsblatt Al-Hayat – die drittgrößte palästi-
nensische Zeitung – für die Veröffentlichung und bestritt,
dass es sich bei der dargestellten Person um den Propheten
handle. Die Figur sei als personifizierter Islam zu deuten.
„Viele waren sehr erbost und die Zeitung musste etwas tun,
damit sie aufhören, darüber zu streiten“, sagt Saba’aneh in
seinem Büro in der
Arab American University
in Ramallah.
„Für mich ist diese Erklärung vielleicht nicht akzeptabel,
aber aus Sicht der Zeitung kann ich es nachvollziehen“,
meint er. „Der Fall hat keine große Aufmerksamkeit in
der Gesellschaft erregt“, versucht derweil Habbash, der
Religionsberater, die Sache herunterzuspielen: „Wir haben
herausgefunden, dass es keine böse Absicht auf Seiten der
Zeitung oder des Künstlers gab. Jetzt ist alles geklärt.“
Aber: Zehn Tage musste der Hauskarikaturist seine Arbeit
bei
Al-Hayat
ruhen lassen. Die von Abbas angekündigte
Untersuchung habe aus einer Befragung seines Chefredak-
teurs und seiner selbst bestanden, erzählt Saba’aneh und
grinst. Seine neueste Karikatur war da bereits im Blatt.
Der Fall Mohammad Saba’aneh ist ein Lehrstück über
Religion und Gesellschaft in Palästina. Er zeigt, dass die
Pressefreiheit nicht nur von den israelischen Behörden und
den innenpolitischen Konfliktparteien Hamas und Fatah
beeinträchtigt wird, sondern auch davon, was der Kari-
katurist selbst als „gesellschaftliche Zensur“ bezeichnet.
Moralische Überzeugungen der palästinensischen Bevöl-
kerung, insbesondere die religiöse Tradition, beschneiden
das Recht auf Meinungsfreiheit auf indirektem Wege.
Und das kann schon einmal dazu führen, dass ein säku-
lar orientierter Präsident, beraten von einem ehemaligen
islamistischen Politiker, eine islamfreundliche Karikatur
verteufelt, die als Bildnis des Propheten interpretiert wer-
den kann. Einer Umfrage
29
zufolge spielen religiöse Tra-
ditionen für nahezu alle Palästinenser eine wichtige Rolle
in ihrem Leben. Interessant ist, dass sich aber nur 45,7
Prozent der Palästinenser selbst entschieden als religiös
bezeichnen würden
30
– die islamischen Traditionen sind
also in die Kultur übergegangen und nicht zwangsweise an
einen tiefen Glauben gebunden.
„Mohammad wirkt winzig, alt und müde“
Mirvat Sadeq, Online-Reporterin des arabischenNachrich-
tensenders
Al-Jazeera
, war eine der ersten, die Saba’anehs
Karikatur öffentlich kritisierte. Die junge Frau arbeitet in
einem duftenden Zimmer voller Pflanzen und bunter Blu-
men, das zu einem journalistischen Gemeinschaftsbüro in
Ramallah gehört. Auch unter den Kollegen wurde der Vor-
fall heiß diskutiert. Sie betont, dass sie Saba’aneh, mit dem
sie befreundet ist, sehr schätzt. Sie begrüßt auch die Aus-
sage der Karikatur. Dennoch hätte er ihrer Ansicht nach
den Propheten nicht zeichnen sollen: Mit dem Bilderver-
bot verhindere der Islam eine Vergöttlichung Mohammeds,
der nur als Mensch gesehen werden darf. Außerdem, fährt
sie argumentativ wenig stringent fort, habe ihr nicht gefal-
len, wie die Figur gezeichnet wurde: „Mohammad wirkt
winzig, alt und müde“, sagt sie. In ihrer Vorstellung sei der
Prophet Gottes das genaue Gegenteil.
29 Fast 95 Prozent gaben an, im Ramadan an den meisten oder sogar an al-
len Tagen zu fasten. Dass sie in diesem Monat alle Gebete verrichten, sag-
ten 86 Prozent. Vgl. Media and Communication Center Jerusalem: Poll No.
82, October 2014,
http://www.jmcc.org/documentsandmaps.aspx?id=867[Stand: 16.11.2016].
30 In Gaza sind es 57,2 Prozent. Vgl. Palestinian Center for Policy and Survey Re-
search (PSR): The Palestinian-Israeli Pulse: A Joint Poll, June 2016, S. 21, http://
pcpsr.org/sites/default/files/Joint%20June%202016%20table%20of%20findings%20English%2016%20August%202016.pdf [Stand: 16.11.2016].
Hat er gegen das Bilderverbot verstoßen? Karikaturist Mohammad
Saba’aneh hat mit seiner Zeichnung eine Debatte ausgelöst.