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Ein Länderporträt über Palästina

Einsichten und Perspektiven 4 | 16

in den vergangenen Jahren auf die eng begrenzte Ausei-

nandersetzung zwischen Israelis und Palästinensern. Die

beiden Intifadas 

6

kosteten tausende Menschen das Leben.

Längst haben Ägypten und Jordanien offiziell ihren Frie-

den mit Israel gemacht 

7

, an der Grenze zum Libanon

kommt es nur noch zu kleineren Scharmützeln

8

, Syrien

hat seit Jahren bekanntermaßen gravierendere Probleme

als den ungeliebten Nachbarn im Süden

9

. Im Schatten

der Berichterstattung über andere Brandherde der Region

brodelt der Kern des Konflikts unterdessen unvermindert

weiter. Erst im Oktober erschoss ein Palästinenser aus

Ostjerusalem an einem Bahnhof aus einem fahrenden

Auto heraus zwei Menschen – die Hamas

bezeichnete

den Mann als aktives Mitglied der Bewegung.

10

Radikale

jüdische Siedler greifen Palästinenser an; junge Palästinen-

serinnen und Palästinenser machen Schlagzeilen, weil sie

mit Messern auf Israelis losgehen.

11

Doch auch die Verhält-

nismäßigkeit des Umgangs der israelischen Polizisten und

Soldaten mit den Angreifern steht in der Kritik: Etliche

wurden erschossen, auch wenn sie Augenzeugen zufolge

6 Der Begriff geht auf das arabische Verb für „sich erheben, abschütteln“

zurück und steht für die Aufstände der Palästinenser gegen Israel. Die ers-

te

Intifada

, die oftmals verharmlosend als „Krieg der Steine“ betitelt wird,

dauerte von 1987 bis 1991 und bezeichnet den zivilen Ungehorsam der

Palästinenser, der schließlich in palästinensischen Terror und Gewaltakte

auf beiden Seiten eskalierte. Der zweite Aufstand, als

Al-Aqsa-Intifada

bekannt, begann im Jahr 2000 mit Protesten gegen den Besuch des von

mehr als tausend Polizisten begleiteten israelischen Oppositionsführers

Ariel Scharon auf dem Tempelberg. Wieder folgte eine massive Gewalt-

welle – erst 2005 vereinbarte Palästinenserpräsident Abbas mit Scharon

einen Waffenstillstand im ägyptischen Sharm el-Sheikh.

7 Der israelisch-ägyptische Friedensvertrag wurde 1979 in Washington

geschlossen, als Zeuge unterschrieb der damalige US-Präsident Jimmy

Carter. Anwar as-Sadat, der ägyptische Präsident, wurde wegen des ara-

bischen Tabubruchs der Anerkennung Israels zwei Jahre später von Isla-

misten ermordet. Der Friedensvertrag mit Jordanien folgte erst 1994 un-

ter der Vermittlung von US-Präsident Bill Clinton. Die Originaltexte sind

online einsehbar:

http://www.mfa.gov.il/mfa/foreignpolicy/peace/guide/

pages/israel-egypt%20peace%20treaty.aspx u.

http://www.kinghussein. gov.jo/peacetreaty.html

[Stand: 16.11.2016].

8 Der letzte Krieg zwischen Libanon und Israel liegt mittlerweile ein Jahr-

zehnt zurück. Die mit der

Hamas

verbündete libanesische

Hizbollah

-Miliz

ist jedoch für Zwischenfälle an der Grenze verantwortlich, bei der auch

immer wieder Menschen getötet werden.

9 Vgl. auch das Länderporträt der Autorin Kristina Milz: Syrien stirbt, in:

Einsichten und Perspektiven. Bayerische Zeitschrift für Politik und Ge-

schichte, 1 (2016), S. 4–21.

10 Vgl. die

dpa

-Meldung: Zwei Tote durch Schüsse aus Auto in Jerusalem, in: Zeit

Online, 09-10-2016,

http://www.zeit.de/news/2016-10/09/konflikte-zwei-

tote-durch-schuesse-aus-auto-in-jerusalem-09193402 [Stand: 16.11.2016].

11 Israelische Medien haben für die gehäuften Vorfälle im Oktober 2015

den Begriff „Messer-Intifada“ geprägt. Vgl. beispielsweise Israel Harel:

Netanyahu Is Helpless in the Face of Palestinian Solidarity, in: Ha’Aretz,

03.03.2016,

http://www.haaretz.com/opinion/.premium-1.706666

[Stand:

16.11.2016].

zu diesem Zeitpunkt bereits handlungsunfähig waren.

Soldaten und Sicherheitskräfte haben die Anweisung, bei

einem Angriff unverzüglich das Feuer zu eröffnen.

12

Die

Praxis der israelischen Besatzung – der stete Ausbau der

jüdischen Siedlungen, der Umgang mit den Palästinen-

sern an den Checkpoints, die Wasser- und Stromversor-

gungspolitik – sorgt weiterhin für scharfe Diskussionen.

Und doch dürfen weder Israelis noch Palästinenser nur als

Protagonisten in einem Territorialkonflikt betrachtet wer-

den. Es lohnt sich, den Alltag der Menschen zu betrach-

ten, der auch, aber nicht nur von der politischen Situation

bestimmt wird.

Was ist Palästina?

Genau genommen gibt es das gar nicht: Palästina. Wohl

als Geschichte, auch als Idee, nicht aber als Bezeichnung

für einen souveränen Staat auf der Weltkarte des Jahres

2016. Auf international-diplomatischem Terrain unter

mit Israel verbündeten Staaten ist meist von „palästinen-

sischen Gebieten“ die Rede. Die Staatlichkeit Palästinas

ist hoch umstritten

13

– doch souverän ist das territorial

unzusammenhängende Gebilde ohne jeden Zweifel nicht.

Nur wenige Staaten, allen voran Israel selbst, bestreiten,

dass das Kerngebiet der Palästinenser seit mittlerweile

fünfzig Jahren besetzt ist. 1995 wurde das den Palästinen-

sern im Teilungsplan der Vereinten Nationen (UN) von

1947 zugesprochene Westjordanland schließlich in drei

Zonen unterteilt

14

, die unterschiedliche Souveränitätssta-

tus bedeuten: Zone A ist das Selbstverwaltungsgebiet der

Palästinensischen Autonomiebehörde (PA)

15

, in Zone B

12 Dabei sind 200 Palästinenser erschossen worden. Vgl. dazu den ARTE-Be-

richt vom 22.04.2016:

http://info.arte.tv/de/israel-und-palaestina-gegen-

die-messer-intifada [Stand: 16.11.2016].

13 Israel und seine Verbündeten wehren sich gegen diese Vorstellung. Vie-

le Staaten erkennen den palästinensischen Staat jedoch an: Eine diplo-

matische Welle begann im Dezember 2010 in den lateinamerikanischen

Staaten von Brasilien bis Peru, Island folgte 2011. In Europa benannten im

selben Jahr Großbritannien, Spanien und Österreich die palästinensischen

Vertretungen zu Botschaften um. Im November 2012 wurde die Delegati-

on der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) auf Antrag des Pa-

lästinenserpräsidenten Mahmud Abbas zum Beobachterstaat der Verein-

ten Nationen aufgewertet; Deutschland hatte sich der Stimme enthalten.

Mit diesem Status können die Palästinenser Klagen beim Internationalen

Gerichtshof erheben.

14 Dies geschah im Rahmen des „Interimsabkommens über das Westjordan-

land und den Gazastreifen“ vom 28.09.1995, besser bekannt als „Oslo II“.

Der Volltext findet sich hier:

http://www.jewishvirtuallibrary.org/jsource/

Peace/interim.html [Stand: 16.11.2016].

15 Sie wurde 1994 als Teil des „Gaza-Jericho-Abkommens“ als quasi-staatli-

che Einrichtung geschaffen. In den Osloer Verträgen war die Zukunft der

PA nicht explizit geregelt, es herrschte jedoch Konsens darüber, dass sie

die Basis für einen zu gründenden Palästinenserstaat bilden sollte.