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Ein Länderporträt über Palästina
Einsichten und Perspektiven 4 | 16
Mehrere Jahrzehnte beherrschte der Konflikt zwischen Israel und den Palästi-
nensern die europäischen Schlagzeilen über den Nahen Osten. Seit 2011 steht
er im medialen Schatten des sogenannten „Arabischen Frühlings“ und dessen
Folgen: Der Krieg in Syrien und der Terror des selbsternannten „Islamischen
Staates“ (IS) in den Nachbarländern verdrängten den bisher als am wich-
tigsten erachteten Konflikt im Nahen Osten von der Agenda des Westens. Die
Entwicklung im „Heiligen Land“ findet der aufmerksame Zeitungsleser derzeit
eher in den Randspalten. Eines vernachlässigt die Berichterstattung über
Israel und Palästina dabei damals wie heute: Auf beiden Seiten leben nicht
nur Kontrahenten eines Konflikts, sondern vor allem Menschen, die versuchen,
ihren Alltag zu meistern. In diesem Porträt soll es um die Menschen in Paläs-
tina gehen: um die Bürger eines Staates, der offiziell nicht existiert.
Dachau im Oktober 2016: Abeer Ayyoub aus Gaza-Stadt
sitzt im Kinosaal der Gedenkstätte des ehemaligen Kon-
zentrationslagers. Es läuft der berühmte Film von 1969,
basierend auf den Aufnahmen von US-Kriegsberichter-
stattern, die bei der Befreiung des Lagers 1945 vor Ort
waren.
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22 Minuten über dokumentiert der Schwarz-
Weiß-Film Leben, Leiden und Sterben der Dachauer
Häftlinge – der Kommunisten, Priester, Homosexuellen,
Sinti, Roma und: der Juden. Der jungen Palästinenserin
laufen Tränen über das Gesicht. Die in der arabischen
Welt so üblichen Vergleiche der Situation ihrer Lands-
leute mit den nationalsozialistischen Konzentrationsla-
gern
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hält sie für unangebracht – das formuliert sie auch
sehr bestimmt gegenüber denen, die ihren Besuch der
Gedenkstätte auf
kritisieren und in den Israelis,
den Juden – für viele sind das Synonyme – Faschisten und
Unterdrücker sehen, die den Nationalsozialisten in nichts
nachstehen. All das sieht Ayyoub anders, doch ihr Respekt
vor den Opfern der Shoah ändert nichts daran, dass der
Gaza-Streifen auch für sie „das größte Freiluftgefängnis
der Welt“ ist. Und dass die Bilder im Film sie auch deshalb
1 Die Jahrzehnte alte Produktion ist längst selbst Gegenstand der Forschung
über den Umgang mit der Geschichte der Konzentrationslager in der
Bundesrepublik Deutschland, vgl. dazu Christian König: Der Dokumentar-
film „KZ Dachau“. Entstehungsgeschichte – Filmanalyse – Geschichtsdeu-
tung, München 2010.
2 Viele Palästinenserinnen und Palästinenser benutzen den Begriff „Holo-
caust“, wenn sie über das Verhalten Israels ihnen gegenüber sprechen.
Wieder andere leugnen die Shoah und sehen sie als Erfindung der Juden,
um die Staatswerdung Israels zu rechtfertigen.
besonders berühren, weil sie selbst genau weiß, wie Tote
aussehen, wenn sie vor einem liegen. Der letzte Krieg in
Gaza ist nicht einmal zweieinhalb Jahre her.
Yallah Selfie: Journalistin Abeer Ayyoub aus Gaza
Foto: privat