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Ein Länderporträt über Palästina
Einsichten und Perspektiven 4 | 16
warnte es im Herbst 2011 vor einem finanziellen Boykott
der PA. Fayyad, der sich mehr auf Real- als Symbolpolitik
verstand, wandte sich aber auch gegen die Idee, eine Voll-
mitgliedschaft bei den Vereinten Nationen zu beantragen –
und brachte so nicht nur beträchtliche Teile der Bevöl-
kerung, sondern auch wichtige Entscheidungsträger der
Fatah gegen sich auf.
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Der Gegenwind aus verschiedensten
Richtungen, der Fayyad und seiner Agenda entgegenschlug,
führte schließlich im Jahr 2013 zum Rücktritt: Zuvor kri-
tisierte erstmals der Revolutionsrat
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der Fatah öffentlich
seine Amtsführung. Sein bis heute amtierender Nachfolger
Rami Hamdallah ist im Gegensatz zu Fayyad langjähriges
loyales Parteimitglied.
51 Die Hamas machte Fayyads Entlassung einmal sogar zur Vorbedingung
einer Versöhnung im Bruderkonflikt. Gerlach (wie Anm. 46), S. 57.
52 Dieser ist auch als „Abu-Nidal-Organisation“ bekannt. Es handelt sich um
eine Abspaltung von der PLO, die sich für ein autonomes Palästina ein-
setzt und für zahlreiche Terroranschläge verantwortlich ist.
Israel als Besatzungsmacht
Der Konflikt zwischen den beiden großen Parteien
Palästinas ist ohne die mittlerweile 50-jährige israelische
Besatzung des palästinensischen Territoriums praktisch
nicht zu verstehen: Insbesondere die Haltung der jewei-
ligen Politiker – und hinsichtlich der Hamas auch ihres
terroristisch-militärischen Arms – zu Israel ist neben dem
Grade an Korruption für viele Palästinenserinnen und
Palästinenser wahlentscheidend. Die Fatah hat dabei das
Problem der offenkundigen Erfolglosigkeit: Die jahre-
langen Verhandlungen mit ihren Hochs und Tiefs haben
keine zufriedenstellenden Ergebnisse geliefert. Hinzu
kommt, dass die Zugeständnisse, die die palästinensischen
Verhandlungsführer in der Vergangenheit zu machen
bereit waren, vielen Wählern zu weit gehen.
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Abbas war
vor seiner Zeit als Präsident bereits Co-Autor der Osloer
Verträge, die den Weg zu einem Frieden bereiten soll-
ten – zusammen mit dem israelischen Außenminister
Jossi Beilin verhandelte er in den Jahren 1993 bis 1995 in
mehr als zwanzig geheimen Treffen einen Lösungsansatz
des Konflikts, der viele offene Fragen beantwortete: Das
Abkommen, das heute
„Beilin-Abbas non-paper“
genannt
wird, da es niemals unterschrieben wurde, sprach sich für
einen unabhängigen Palästinenserstaat aus.
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Er sollte auf
94 Prozent des Westjordanlandes und des Gazastreifens
entstehen, durch eine Landbrücke verbunden und ent-
militarisiert sein. Palästinenser, die während des Krieges
von 1947 bis 1949 geflüchtet oder vertrieben worden
waren, sollten ein Rückkehrrecht erhalten; sogar in Bezug
auf den Status Jerusalems hatte man sich geeinigt. Doch
auch diese Einigung scheiterte an Hardlinern auf beiden
Seiten: Ein jüdischer Extremist ermordete den damaligen
israelischen Premier Jitzhak Rabin,
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die Hamas startete
eine Terrorkampagne und sprengte täglich israelische
Busse in die Luft, die israelischen Wähler entschieden
sich für den rechtskonservativen Benjamin Netanjahu als
neuen Ministerpräsidenten, dem der Friedensnobelpreis-
träger Schimon Peres unterlag.
Die Praxis der israelischen Besatzung im Westjordan-
land wirkt sich entsprechend der Einteilung des Gebietes
in unterschiedliche Souveränitätszonen in den Städten
und Dörfern lokal höchst verschieden auf den Alltag der
Palästinenserinnen und Palästinenser aus. Während in der
53 Dasselbe gilt natürlich auch innerhalb Israels, wo Konzessionen an die
Palästinenser in den Friedensverhandlungen hoch umstritten sind.
54 Hier und im Folgenden vgl. Yaron (wie Anm. 17), S. 182 f.
55 Zu Rabin vgl. das Porträt von Daniel-Dylan Böhmer: Israels tragischer
Held, in. Gerlach/Meier (wie Anm. 26), S. 44 ff.
Das Balata-Flüchtlingslager bei Nablus wurde einst für 5.000 Menschen
errichtet. Mittlerweile leben hier 27.000 Bewohner auf engstem Raum.