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Das deutsch-italienische Anwerbeabkommen vom 20. Dezember 1955

Einsichten und Perspektiven 4 | 15

Heimatüberweisungen und Leistungsbilanz

Vor allem wenn Migranten ihren engeren Familienkreis

im Herkunftsland zurücklassen, pflegen sie ihre Erspar-

nisse in die Heimat zur Ernährung ihrer Familienange-

hörigen zu schicken. Heimat- oder Rücküberweisungen,

auch Remissen genannt, können in Form von Geld-, aber

auch in Form von Gütertransfers erfolgen. Im Fall nicht

konvertierbarer Währungen besteht bei Geldtransfers für

die Zentralbank des Aufenthaltslands der Migranten in

der Regel das Problem, dass die Ersparnisse vor der Über-

weisung in die Währung des Herkunftslands umgetauscht

werden müssen. Wie sich am folgenden Zahlungsbilanz-

schema nachvollziehen lässt, müssen die sich in der Über-

tragungsbilanz des Aufenthaltslands niederschlagenden

Heimatüberweisungen dann im Fall von Kapitalknapp-

heit (Kapitalbilanz) und nicht vorhandenen Währungs-

reserven (Devisenbilanz) durch den Export von Waren

oder Dienstleistungen erwirtschaftet werden.

In bestimmten Fällen können Heimatüberweisungen

allerdings auch in ausländischer Währung erfolgen, beispiels-

weise immer dann, wenn das Herkunftsland der Migranten

eine bestimmte Sorte für seine Warenimporte benötigt.

Gleichgültig in welcher Form, waren die Heimat-

überweisungen seiner Migranten, die als Übertragung

einer unentgeltlichen Leistung in der Zahlungsbilanz zu

Buche schlagen, für Italien aufgrund seiner Importüber-

schüsse von höchster Bedeutung: zwischen 1946 und

1957 konnte es immerhin durchschnittlich 4,5 Prozent 

*)

seiner Importe durch die offiziellen Überweisungen seiner

Arbeitsmigranten bezahlen.

Schaubild: Vereinfachtes Schema einer Zahlungsbilanz

Teilbilanzen

Soll oder Debet

Haben oder Kredit

A. Leistungsbilanz

– Handelsbilanz

– Dienstleistungsbilanz

– Übertragungsbilanz

Wareneinfuhr

Dienstleistungsimport

Übertragungen (eigene)

Warenausfuhr

Dienstleistungsexport

Übertragungen (fremde)

B. Kapitalbilanz

Kapitalausfuhr

Kapitaleinfuhr

C. Devisenbilanz

(Veränderung der Währungsreserven)

Devisenzufluss

Devisenabfluss

*) Eigene Berechnung nach: Bureau International du Travail: Les Migrations Internationales 1945–1957, Genève 1959, S. 411 (=Études et Documents, Nouvelle

série, N° 54).

Die frühe italienische Arbeitsmigration nach Belgien

und Frankreich

Weil Italien für den Wiederaufbau seiner Industrie

zunächst grundsätzlich auf den Import von Steinkohle

angewiesen war und zugleich über zu viele Arbeitskräfte

verfügte, schloss es am 23. Juni 1946 ein Anwerbeab-

kommen mit Belgien. Belgien sicherte Italien in diesem

Abkommen als Gegenleistung für im Bergbau unter Tage

beschäftigte italienische Arbeitskräfte Kohlelieferungen

zu. 

14

Weitere Abkommen dieser oder vergleichbarer Art

14 Vgl. Anne Morelli: L’appel à la main d’œuvre italienne pour les charbonna-

ges et sa prise en charge à son arrivée en Belgique dans l’immédiat après-

Guerre, in: Belgisch Tijdschrift voor Nieuwste Geschiedenis/Revue belge

d’Histoire contemporaine, XIX (1988), H. 1–2, S. 83–130, besonders S. 89f.

sollten folgen: „Seit vielen Jahren ist die Überbevölkerung

ein brennendes Problem für alle italienischen Regierun-

gen. [...] Da die Lösung dieses Problems keinen Aufschub

duldete, in der italienischen Wirtschaft aber in naher

Zukunft nicht so viele Arbeitskräfte gebraucht werden,

hat die italienische Regierung mit europäischen Staaten in

den ersten Monaten des Jahres 1947 Einwanderungsab-

kommen geschlossen. Die europäischen Staaten suchen in

der Hauptsache Arbeiter für die Bergwerke; sie haben sich

bereit erklärt, Italien als Gegenleistung eine bestimmte

Menge Kohlen zu liefern.“ 

15

Auch die französische Regie-

15 Das italienisch-französische Auswanderungsabkommen, in: Europa-Archiv,

2 (1947), S. 653f. hier S. 653.