Table of Contents Table of Contents
Previous Page  34 / 80 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 34 / 80 Next Page
Page Background

34

Das deutsch-italienische Anwerbeabkommen vom 20. Dezember 1955

Einsichten und Perspektiven 4 | 15

seien, schließlich nur 208 italienische Landarbeiter tatsäch-

lich angefordert und beschäftigt worden. 

34

Gemeinsame

Überprüfungen der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung

und Arbeitslosenversicherung und der Bauernverbände

ergaben allgemein, dass zumindest die veröffentlichten

Bedarfszahlen regelmäßig stark überhöht waren und der

Arbeitskräftebedarf im Wesentlichen noch auf dem deut-

schen Arbeitsmarkt gedeckt werden konnte. 

35

Das war

auch der Grund, warum westdeutsche Arbeitgeberver-

bände und Gewerkschaften die Anwerbung ausländischer

Arbeitskräfte zu dieser Zeit noch generell und einträchtig –

mit Ausnahme der bereits jetzt Engpässe an Arbeitskräften

beklagenden land- und forstwirtschaftlichen Arbeitgeber-

verbände – ablehnten. 

36

Die Konflikte um bundesdeutsche Arbeitsmarktinter-

essen, denen das Bundesarbeitsministerium qua Funktion

nachzukommen hatte, und europäischen Verpflichtun-

gen, auf deren Einhaltung das Auswärtige Amt zu achten

und das Bundeswirtschaftsministerium aus wachstumspo-

litischen Gründen zu bestehen pflegte, verhinderten im

Übrigen von Beginn an eine den Einsatz ausländischer

Arbeitskräfte berücksichtigende arbeitsmarktpolitische

Konzeption. Die Beschäftigung ausländischer Arbeits-

kräfte sollte dadurch bis zum Anwerbestopp 1973 gerade

nicht von westdeutscher Arbeitsmarktpolitik und auch

bald nicht mehr von europapolitischen Notwendigkeiten

bestimmt werden, fortan vielmehr ohne wirtschaftliches

Konzept den vielfältigsten außenpolitischen Bedürfnissen

Westdeutschlands folgen, die sich mit außenwirtschaftli-

chen allerdings durchaus decken konnten. Unter diesem

Vorzeichen standen die folgenden Anwerbevereinbarun-

gen mit dem nicht der EWG angehörenden Spanien,

Griechenland, Portugal, Jugoslawien sowie der Türkei in

den 1960er Jahren, wobei das Attribut „Anwerbung“ wie

im Fall des deutsch-italienischen Abkommens irreführend

ist, da die Initiative zu diesen, aber auch ähnlichen Verein-

barungen mit Marokko und Tunesien, ausschließlich vom

Ausland ausging. 

37

34 Vgl. BA Koblenz, B 119/3023. Vermerk des Referenten BVR Dr. Reber i.V.,

Unterabteilung Ia, Ia4 – 5750/5100 – vom 28. September 1955. Betr. Aus-

länder in Deutschland, Allgemeine Fragen der Arbeitsmarktbeobachtung.

35 Vgl. PA Berlin, B 85 (2. Abgabe)/548. Botschaft der Bundesrepublik

Deutschland Rom, 553-11/Nr. 2194/55, vom 20. Mai 1955. Anforde-

rung italienischer Arbeitskräfte. Bezug: Bericht vom 27.4.55; sowie: Der

Bundesminister für Arbeit, Tagebuch-Nr. II b 4 – 2471 – 529/55 an das

Auswärtige Amt – Abteilung V – vom 10. Juni 1955. Betr. Hereinnahme

italienischer Arbeitskräfte.

36 Vgl. Knortz (wie Anm. 3), S. 73ff.

37 Vgl. hierzu Knortz (wie Anm. 3) passim.

Italienische Arbeitskräfte bei der Ankunft in München, 1959

Foto: SZ Photo/Fotograf: Jenö Kovacs

Arbeitsmigration und Kindergeldzahlungen als Akt

europäischer Solidarität

Die am 20. Dezember 1955 in Rom gegen unterschied-

liche innenpolitische Widerstände unterzeichnete Regie-

rungsvereinbarung „über die Anwerbung und Vermittlung

von italienischen Arbeitskräften nach der Bundesrepublik

Deutschland“ war entgegen offizieller Verlautbarungen

in erster Linie europäischer Solidarität geschuldet. Zur

europäischen Komponente dieser Vereinbarung zählte die

Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) zunächst einen

weiteren Devisentransfer: „Das Neue in dem Abkommen

liegt aber vor allem in der Bestimmung über das Kinder-

geld. Es wird auch bei den Saisonarbeitern gezahlt. Für

die kinderreichen italienischen Familien ist es von großer

Bedeutung. Man kann es verstehen, daß von italienischer