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Das deutsch-italienische Anwerbeabkommen vom 20. Dezember 1955
Einsichten und Perspektiven 4 | 15
gesteigert werden.
46
Ohne die boomende westdeutsche
Wirtschaft mit der rapide anwachsenden Beschäftigung
italienischer Arbeitnehmer in den 1960er Jahren (vgl.
Tabelle 4) hätten die Ziele des Vanoni-Plans allerdings,
was Auswanderung und Heimatüberweisungen betrifft,
nicht annähernd erreicht werden können.
47
Tabelle 4: Entwicklung der Beschäftigung italienischer
Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland,
1954–1973
Jahr
*)
Anzahl
1954
6.500
1955
7.500
1956
18.600
1957
19.100
1958
31.500
1959
48.800
1960
121.700
1961
224.600
1962
276.800
1963
287.000
1964
296.900
1965
372.300
1966
391.300
1967
266.800
1968
304.000
1969
349.000
1970
381.800
1971
408.000
1972
426.400
1973
409.700
*) Stichtag 1954–1960 jeweils 31.07., 1961–1972 jeweils 30.09., 1973: 30.01.
Quelle: BA Koblenz, B 139/8846. Referat IV/3 (ORR Schreiber) an den Bundes-
kanzler vom 19. Februar 1973, betr. Besprechung mit den Regierungschefs
der Länder am 23. Februar 1973. Anlage „In der Bundesrepublik Deutschland
beschäftigte ausländische Arbeitnehmer“.
46 Vgl. Archives diplomatiques, 193QO/254. Étude sur le développement du
revenu national et de l’emploi au cours de la période 1955–1964. S. 250/79.
47 Zu diesen Schlüssen vgl. insgesamt: Knortz (wie Anm. 16).
Resümee
Entgegen allgemeiner Annahme spielten – Italien mit seiner
schnell wachsenden Bevölkerung ausgenommen – arbeits-
marktpolitische Aspekte bei den frühen europäischen
Anwerbeabkommen im Vergleich zu außenwirtschaftlichen
und europapolitischen Zielen eine zu vernachlässigende
Rolle. Diese Feststellung gilt ausdrücklich auch für das vor
70 Jahren am 20. Dezember 1955 geschlossene deutsch-
italienische Anwerbeabkommen. Sie trifft allerdings nicht
mehr auf die 1960er Jahre zu, als nord- und westeuropä-
ische Industriegesellschaften im Zeichen vollbeschäftigter
Arbeitsmärkte schließlich zusätzliche Arbeitskräfte in rapide
steigender Zahl auch aus außereuropäischen Ländern auf-
nahmen, was einem grundlegendenWechsel des Arbeitsmi-
grationsregimes gleichkam.
Der wirtschaftshistorische Kontext zeigt das deutsch-
italienische Anwerbeabkommen dementsprechend als
Folge makroökonomischer Ungleichgewichte.
48
Die aus
diesen resultierenden Zahlungsbilanzkrisen versuchten die
italienischen Administrationen zwischen 1945 und 1958
allgemein auf europäischer Ebene zu bewältigen. Solcher-
maßen außenwirtschaftliche Ungleichgewichte waren in
der Vergangenheit in Europa eher die Regel als die Aus-
nahme. Sie führten, wie das vorliegende Beispiel zeigt,
nicht selten zu einer Zunahme außenwirtschaftlicher Ver-
flechtung, zu verstärkter wirtschaftlicher Integration und
Arbeitsteilung.
48 So auch der französische Botschafter in Bonn an das französische Au-
ßenministerium. Vgl. Archives diplomatiques, 193QO/257. Christian de
Margerie, Chargé d’Affaires de France auprès de la République Fédérale
d’Allemagne à Son Excellence Monsieur Antoine Pinay, Ministre des Af-
faires Etrangères – Direction d’Europe –. 1er décembre 1955, S. 199–202,
hier S. 201 f.