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Einsichten und Perspektiven 4 | 15

Stadtmauer und Bürger

Durch die Errichtung von Stadtmauern im 12./13. Jahr-

hundert wurde ganz augenscheinlich dokumentiert, was

zur Stadt gehörte und was nicht. So kam es zur begriffli-

chen Trennung von Stadt und Land.

9

Noch im 11. Jahr-

hundert wurde zwischen Burg und Stadt kaum unter-

schieden. Nun wurde

Stadt

zu einer eigenen Kategorie: ein

vergleichsweise bevölkerungsreiche Ansiedlung mit einem

Markt, einer eigenen Rechtsordnung und einer Schutz-

mauer.

Da die Wehrhaftigkeit zur Stadt gehörte, hielt sich

der Begriff „Burger“ oder „Bürger“

10

zur Unterscheidung

der Stadtbewohner von der Landbevölkerung. Und diese

Unterscheidung war bedeutsam! Außerhalb der Mauern

lebten die bäuerlichen Hintersassen von Adel und Kirche

in verschiedenen Formen der Hörigkeit, dienst- und abga-

benpflichtig. Hinter den Mauern herrschte Sicherheit und

ein höheres Maß an Freiheit. „Stadtluft macht frei“ – die

berühmte Formel stammt zwar von Jakob Grimm aus dem

19. Jahrhundert, gibt aber ein Rechtsprinzip wieder, das

sich in zahlreichen Stadtprivilegien findet.

11

Eine Person

war frei von früheren Abhängigkeiten, wenn sie sich eine

bestimmte Zeit unbehelligt in der Stadt aufgehalten hat;

das galt auch für die Nachkommen. Die Stadt schützte

diesen Menschen: durch die Mauern vor Übergriffen von

außen und durch den Eintritt in eine neue Rechtsord-

nung. Die Städte boten eine höhere Lebensqualität und

Hoffnung auf sozialen Aufstieg – sonst ist deren Anzie-

hungskraft nicht zu erklären. Auch die Stadtherrn (König,

Bischöfe, Fürsten) hatten ein Interesse amWachstum ihrer

Städte; nur sollten es nicht die eignen Hintersassen sein,

die abwanderten. Das höhere Maß an Freiheit und Sicher-

heit gab es nicht umsonst. Jeder musste zum gemeinen

Wohl beitragen, nicht zuletzt zum Bau und Unterhalt der

Mauer, sei es durch Geld oder Arbeitskraft. Jeder wehr-

fähige Mann stand im Ernstfall auf der Mauer, um seine

Stadt zu verteidigen. Die Stadtmauer war das Symbol für

den Preis der Freiheit.

9 Vgl. Fuhrmann (wie Anm. 6), S. 93.

10 Aus ahd.

burgāri

,

burgeri

(9. Jh.), mhd.

burgære

,

burger

„Bewohner einer

Burg, einer Stadt“. Die Ausgangsbedeutung von „Bürger“ wäre danach

„Burgverteidiger“, daraus entwickelt sich „Bewohner einer Burg, einer

Stadt, eines Staates“. Im Zusammenhang mit der Herausbildung der

deutschen Städteverfassungen im 11./12. Jh. bezeichnet „Bürger“ das

freie, vollberechtigte Mitglied einer Stadtgemeinde.

http://www.dwds

.

de/?qu=B%C3%BCrger [Stand: 25. November 2015].

11 Vgl. Goez (wie Anm. 6), S. 7, und Heinrich Mitteis: Über den Rechtsgrund

des Satzes „Stadtluft macht frei“. In: Carl Haase (Hg.): Die Stadt des Mit-

telalters, Bd. 2: Recht und Verwaltung,

2

Darmstadt 1976, S. 182–202.

Stadterweiterung und Stadtwerdung

Da die Befestigung teuer war, durfte ein Mauerumgriff

nicht zu klein ausfallen, sonst war über kurz oder lang

eine Erweiterung und ein Neubau nötig. Umschloss man

aber ein zu großes Areal, dann fehlte es an wehrfähigen

Bürgern. Es gibt Berechnungen, wonach ein Mann etwa

1,5 m einer Wehranlage verteidigen konnte.

12

Gelegentlich haben Städte mit einem enormen Bevölke-

rungszuwachs kalkuliert, als sie den Verlauf des Mauergür-

tels festlegten. Goslar

13

am Harz – reich geworden durch

den Silberbergbau am Rammelsberg – baute ab etwa 1100

eine über sechs Kilometer lange Mauer, die etwa 84 Hektar

umschloss. Das war ein derart großzügiger Umgriff, dass

auch nach 40 Jahren noch große Brachen übrig blieben. Als

sich 1552 der Herzog von Braunschweig des Silberbergbaus

bemächtigte, schwand mit dem Wohlstand auch die Zahl

der Bewohner. Ulm

14

war erfolgreicher: Die Stadt an der

Donau besaß seit den 1220er Jahren eine Mauer und hatte

Anfang des 14. Jahrhunderts ca. 5.000 Einwohner, als der

Rat beschloss, eine neue Mauer zu bauen. Deren Verlauf

legte man weit ins unbebaute Gelände hinaus und vervier-

fachte die ummauerte Fläche auf 66,5 Hektar – Raum für

mindestens 20.000 Einwohner, was Ulm in den Kreis der

größten deutschen Städte hob. Gut 200 Jahre später wurde

die Zahl tatsächlich erreicht – dank einer Tuchproduktion

(Barchent) von europäischem Rang.

Eine solche Planung war aber selten. Die Regel war eher

das Einbeziehen von Vorstädten und die Vereinigung von

Doppelstädten hinter einer gemeinsamen Mauer. Natürlich

wurde immer auch unbebautes Gelände mit eingeschlossen.

In Nürnberg

15

entwickelte sich aus einer Marktsied-

lung südlich der Burg im 12. Jahrhundert die Sebalder

Stadt (nach der Hauptkirche St. Sebald). Um 1140 grün-

dete der erste Staufer-König Konrad III. südlich davon

und jenseits der Pegnitz die Lorenzer Stadt. Beide Teile

12 Vgl. Stadt im Wandel. Kunst und Kultur des Bürgertums in Norddeutsch-

land, (Landesausstellung Niedersachsen 1985), Stuttgart/Bad Cannstadt

1985, Bd. 3, S. 86.

13 Vgl. Stadt im Wandel (wie Anm. 12), Bd.1, S. 125ff., und H.G. Griep: Aus-

grabungen und Bodenfunde im Stadtgebiet Goslar. In: Harz-Zeitschrift

1983, S. 1–54; vgl. Hans-Günther Griep: Führer durch Goslar, Bd. 5, Die

Befestigungsanlagen, Goslar 1992.

14 Vgl. Hans Eugen Specker: Reichsstadt und Stadt Ulm. In: Der Stadtkreis

Ulm. Ulm 1977, S. 38–42, und Herbert Wiegandt: Ulm. Geschichte einer

Stadt, Weißenhorn 1977, S. 59–84.

15 Vgl. Georg Dehio: Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler, Bayern I:

Franken. München 1979, S. 541–545 und 611–614, sowie Mittelalterliche

Stadtentwicklung (KPZ im Germanischen Nationalmuseum), Nürnberg

1982.

Nuernberginfos.de/bauwerke-nuernberg/stadtbefestigung-nuern-

berg.html [Stand: 17.01.2015].