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Eine Mauer für Freiheit und Sicherheit

Stadtansichten aus der frühen Neuzeit zeigen noch einige

Türme; der letzte wurde nach dem Dreißigjährigen Krieg

abgerissen. Die zweite Mauer stellt eine konzentrische

Erweiterung dar.

Eine Mauer bauen

An der Nördlinger Stadtmauer

20

können einige Fragen

exemplarisch beantwortet werden, etwa nach der Rolle

des Stadtherrn, in diesem Fall des Königs, oder nach der

Finanzierung. Auch die Gestalt der Befestigung ist bei-

spielhaft wie ihre militärische und politische Funktion.

Wir wissen nicht, ob die Nördlinger von sich aus um

ein Privileg gebeten haben. In der einschlägigen Urkunde

vom 3. Mai 1327 erscheint König Ludwig der Bayer als

Initiator. Er befahl dem Rat und allen Bürgern, die um

die Stadt herum gelegenen großen Vorstädte aus Gründen

der Sicherheit in einen neuen Verteidigungsring einzube-

ziehen. Dieser soll aus Graben, Mauer und anderen Befes-

tigungswerken bestehen. Zur Finanzierung gewährte der

König – wie zuvor in Nürnberg und Rothenburg – acht

Jahre lang ein „Ungeld“ zu erheben, eine Verbrauchssteuer

auf alkoholische Getränke wie Wein und Bier. Das Geld

müsse zweckgebunden verwendet werden, sonst werde es

der König von der Stadt fordern und das Steuerprivileg

widerrufen.

21

Der König genehmigt oder befiehlt also den

Bau einer Stadtmauer, lässt aber viel Spielraum. So sagt

das Privileg nicht, wann der Festungsbau als beendet zu

betrachten ist.

Mit demBau der neuenMauer wurde noch 1327 begon-

nen. Geschlossen war der Ring wohl 1390. Die Stadt stritt

damals mit den Grafen von Oettingen, den mächtigen

Territorialherrn im Ries. Diese sahen durch den Abschluss

des Mauerbaus ihre Gerichtshoheit beschnitten, die bis an

die Grenze der alten Mauer gereicht hatte. Dies zeigt: Erst

die neue Mauer machte die Menschen in den Vorstädten

zu Nördlinger Bürgern. Dass man die innere Mauer erst

niederlegte, als die äußere fertig war, liegt bei diesen Span-

nungen auf der Hand.

Für ein Jahrhundertwerk reichte die vom König geneh-

migte Finanzierung natürlich nicht aus, zumal der Bau an

der Mauer eigentlich nie endete: Man besserte aus, ver-

stärkte, brach baufällige Türme ab und baute neue. Die

Getränkesteuer wurde nach acht Jahren nicht abgeschafft,

20 Vgl. Dietmar-H. Voges: Die Reichsstadt Nördlingen. 12 Kapitel aus ihrer

Geschichte, München 1988, S. 94–119, und Gustav Zipperer: Nördlingen.

Lebenslauf einer schwäbischen Stadt, Nördlingen 1979, S. 21–30.

21 Vgl. Voges (wie Anm. 20), S. 94ff.

sondern verstetigte sich.

22

Auch wurden Strafgelder in

den Mauerbau gelenkt: Jemand musste z.B. eine Fuhre

Steine bezahlen. Ein betuchter Steuerhinterzieher wurde

dazu verurteilt, einen vollständigen Torzwinger mit Brü-

cke zu bauen. Zwischen 1407 und 1448 erhob die Stadt

ein „Grabengeld“ (befristet wie ein Solidaritätszuschlag).

Kosten verursachten nicht nur die großen Mengen an

Material (Hau- und Bruchsteine, Ziegel, Holz). Man

brauchte auch erfahrene Baumeister, die sich in der immer

anspruchsvolleren Befestigungskunst auskannten.

Natürlich war der Aufbau einer Stadtbefestigung bis zu

einem gewissen Grad variabel. Er konnte von den topo-

grafischen Gegebenheiten abhängen. In Rothenburg zum

Beispiel war das tief in den Muschelkalk eingeschnittene

Taubertal mit seinen steilenHängen ein natürlicher Schutz,

der an der Westseite eine Reduzierung der Wehrbauten

erlaubte. Es ging immer darum, welcher Bedrohung die

Mauer standhalten sollte. Wachtdienste und Schließen

der Tore am Abend sollten einen Handstreich verhindern.

Bei einer Belagerung musste man mit dem Versuch rech-

nen, die Mauer zu erstürmen. Das geschah mit Leitern

oder es wurden hölzerne Belagerungstürme herangeführt,

von denen aus man die Mauer übersteigen konnte. Mit-

telalterliche Mauern mussten deshalb hoch sein; in Nörd-

lingen sind es bis zu 9,5 Meter. Es gab Rammböcke, um

die Tore aufzubrechen, und Wurfmaschinen, Steinschleu-

dern, mit denen Breschen in die Mauer geschossen oder

Verwüstungen in der Stadt angerichtet werden konnten.

Notwendig waren also Vorrichtungen, die verhinderten,

dass der Feind überhaupt an die Mauer herankam. Aus

solchen Szenarien ergab sich ein Grundmuster mittelal-

terlicher Wehranlagen.

Die Nördlinger Mauer besteht in der Hauptsache aus

Bruchsteinen, oben aus Backstein. Rundum verläuft ein

hölzerner, mit einem Ziegeldach geschützter Wehrgang –

im Falle einer Erstürmung der Ort des Nahkampfes. Zur

Feindseite gibt es zahlreiche Rundbogenöffnungen und

Schießscharten. Der Stadtmauer vorgelagert war der

Zwinger. Die Zwingermauer war etwa mannshoch – es

gab also in den meisten Fällen nicht eine, sondern zwei

Mauern. Die Bezeichnung kommt von „bezwingen“.

Hatte der Feind die erste Mauer überwunden, so stand

er in einem Bereich zwischen zwei Mauern und konnte

von oben bekämpft und „bezwungen“ werden. Das Prin-

zip der Doppelmauer wurde schon bei den frühesten

Festungsbauten angewandt. Da die Zwingermauer als

22 Ebd., S. 116 f.