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Einsichten und Perspektiven 4 | 15

Landeszentrale:

Was wussten Sie über die politischen Entwicklungen zwischen August 1989 und November 1989?

Nach meinem Abitur 1986 leistete ich in der BRD als

Soldat auf Zeit für zwei Jahre Militärdienst. Während der

diversen Ausbildungslehrgänge als Offiziersanwärter war

die Dualität zwischen Ost und West noch stark spürbar. Ab

dem Wintersemester 1988/89 studierte ich in West-Berlin.

Somit ergab sich für mich auf „natürliche Weise“ eine hohe

Aufmerksamkeit für die politischen Entwicklungen in 1989.

Insbesondere mit einem sehr gut befreundeten Kommilitonen,

der auch in der studentischen Mitbestimmung politisch aktiv

war, habe ich häufiger diskutiert, was die Massenflucht von

DDR-Bürgern über Ungarn für die DDR bedeuten wird.

Auch die Massendemonstrationen für politische Reformen in

Leipzig habe ich damals bewusst wahrgenommen. (*1967)

Das Paneuropäische Picknick war eine Friedensdemonstration an der öster-

reichisch-ungarischen Grenze nahe der Stadt Sopron am 19. August 1989.

Mit Zustimmung beider Länder wurde ein Grenztor symbolisch für drei Stun-

den geöffnet. Rund 600 DDR-Bürger nutzten die kurze Öffnung des Eisernen

Vorhangs zur Flucht in den Westen, nachdem sie zuvor durch Flugblätter der

Veranstalter und von Vertretern bundesdeutscher Medien in Ungarn auf das

Paneuropäische Picknick aufmerksam gemacht worden waren.

Foto: ullstein bild – AP

Ich hatte Ausbildung und Studium in der DDR abgeschlossen und arbeitete seit einem Jahr mit

Personal- und Budgetverantwortung. Außerdem hatte ich eine eigene Wohnung/Hausstand.

Die Urlaube verbrachte ich mit Freunden im sozialistischen Ausland, in Berlin und an der Ost-

see. Viele junge Menschen in meinem Freundes- und Kollegenkreis hatten einen Ausreise-Antrag

in die Bundesrepublik laufen. Andere saßen in Untersuchungshaft. Durch diese Kontakte und

Beziehungen war ich informiert über die Bewegungen in Berlin, Jena, Leipzig, das Geschehen

in den jungen Gemeinden der Kirchen. Die Antragstellungen nahmen täglich zu. Viele hatten

ihre Jobs durch die Antragstellung verloren.

Seit den letzten Wahlen standen die Zeichen auf Veränderung und Unruhe, Willkür,

Spannung, Leidenschaft und große Unsicherheit. (*1966)

Seit den Montagsdemos, ausgehend in Leipzig, kam es in allen DDR-Bezirken zu Demos gegen die Politik der

SED. Ihre Hegemonie sollte gebrochen werden, die Bevölkerung war für Pluralismus und Mitsprache bei der

Lösung anstehender Probleme. Bei zwei Demos in Jena war ich auch dabei. Aus meinem Betrieb stellten ständig

Mitarbeiter Anträge auf Ausreise in die BRD. Im Juli/August 1989 gab es 40 solcher Anträge, die Antragssteller

reisten auch alle noch vor dem Mauerfall aus. Ein Mitarbeiter der Stasi erschien jeweils bei mir und wollte wissen,

ob es noch betriebliche Forderungen gäbe.

In der Zeit vor dem Mauerfall (Losung: Wir sind das Volk) ging es ja zunächst um eine andere DDR. Erst

nach Kohls Dresdner Rede war die Losung „Wir sind ein Volk“. Die politische Entwicklung dieser Zeit habe ich

täglich in den Fernsehsendern beider deutscher Staaten verfolgt. Die „Ossis“ wussten über die BRD gut Bescheid.

Umgekehrt waren die meisten „Wessis“ über die DDR nicht informiert. (Niederbayerisches Zitat: „Manche

dachten, hinter der Mauer kommt bald Sibirien).

Diese gesamte Zeit war für mich hoffnungsvoll, obwohl noch unklar, wohin die Reise geht. (*1938)