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Einsichten und Perspektiven 4 | 15

Landeszentrale:

Rückblickend auf die letzten 25 Jahre: Was hat sich für Sie persönlich in Deutschland am meisten verändert?

Ich bin sehr froh, dass ich in einem wiedervereinigten Deutschland

leben kann. Ohne die „Wende“ hätte ich niemals die Bekanntschaft

einiger meiner besten Freunde machen können, die aus Ostdeutsch-

land kommen. In Gesprächen mit Ihnen werden die unterschied-

lichen Sichten auf gesellschaftliche Veränderungen immer noch sehr

deutlich. Ich empfinde dies als eine Bereicherung und Chance, die

Diskussion um diese Themen vielseitig zu führen und auch von den

Erfahrungen aus Ostdeutschland zu lernen. (*1967)

Das endgültige Zusammenwachsen zwischen

Ost- undWestdeutschland nach herkömmlichem

Verständnis ist noch nicht erreicht, da die Gene-

ration der 40- bis 60-Jährigen, die aktuell das

politische wie gesellschaftliche und wirtschaft-

liche Leben bestimmen, in den alten Systemen

aufgewachsen ist. Die „Veränderung“ ist jedoch

deutlich an den nachfolgenden Generationen zu

erkennen, die kaum oder nicht mehr zwischen

Ost und West unterscheiden und Deutschland

als das begreifen, was es ist und sein soll: Eine

Nation inmitten von Europa. (*1961)

Nach 25 Jahren haben wir eine Bundeskanzlerin und einen

Präsidenten, die in der DDR aufgewachsen sind. Die Einheit

Deutschlands ohne Blutvergießen ist ein Glücksfall unserer

Geschichte. Ich bin stolz dabei gewesen zu sein. (*1953)

Die vierzig Jahre DDR von 1949–1989 habe ich bewusst ge- und erlebt. Eine gute Schulbildung, ein praxisbezogenes

Studium mit sehr hohen Anforderungen und volle Selbstbestätigung im Beruf waren kennzeichnend. Natürlich hatte auch

ich nicht immer die politische relevante Meinung ohne damit in die Öffentlichkeit gegangen zu sein. Im Kollegen- und

Freundeskreis hingegen schon. Die Mauer war für uns ein Ewigkeitsbauwerk ohne sichtbare alternative Lösung.

Inzwischen habe ich 25 Jahre im geeinten Deutschland hinter mir. Die DDR will ich nicht zurück. Allerdings so wie man

sie oft nur auf Stasi und Doping im Sport reduziert, weckt das bei vielen ehemals Ostdeutschen Protest, was wiederum als

Ostalgie ausgelegt wird. Klar ist, mir und ähnlich Gelagerten geht es materiell deutlich besser. Inzwischen haben wir auch alle

Nachbarländer Deutschlands bereist.

Zu DDR-Zeiten waren Freundschaft, Hilfsbereitschaft und gegenseitige Akzeptanz stärker ausgeprägt. Durch das Stre-

ben nach „immer mehr“ geht Vieles im Umgang miteinander verloren.

In meinem Freundes- und Bekanntenkreis werden oft politische Diskussionen geführt. Zu DDR-Zeiten musste man

bei offener Kritik mit starken Repressionen rechnen. Heute kann die Meinung frei geäußert werden. Ob es immer richtig

genutzt wird, ist eine andere Frage.

Ich habe die mir vorgelegten Fragen gerne beantwortet. Von Leuten, die über die DDR schreiben und eigentlich keine

Ahnung haben, ist genug gedruckt worden. Bürger meinesgleichen hüllen sich doch eher meistens in Schweigen. (*1938)

Ich bin Jahrgang 1989. Die deutsch-deutsche Grenze kenne ich nur aus den Erzählungen meiner Eltern, Großel-

tern und anderer. Für mich ist es unvorstellbar, dass kaum zwei Kilometer von meiner Wohnung früher die meist

bewachte Grenze Europas lag. Beim Spazieren gehen überschreite ich ganz selbstverständlich und ohne nachzuden-

ken diese ehemalige Grenze.

Ich lebe nicht am Ende, sondern in der Mitte Deutschlands und das schätze ich sehr! Ich fahre gerne nach

Erfurt, um dort auszugehen oder das Kulturangebot zu genießen. Für meine Eltern ist das heute noch nicht ganz

nachvollziehbar.

Man merkt hier in der Region, dass die Grenze in den Köpfen immer noch präsent ist. Es gibt immer noch

„hüben“ und „drüben“. Meiner Meinung nach wird dies jedoch immer weniger. In den Jahrgängen nach mir

spielt dies eine immer geringere Rolle. Viele meiner Freunde, Bekannten oder Kollegen haben PartnerInnen aus

Thüringen. Viele Kinder gäbe es ohne die Grenzöffnung nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, wie das Leben an

der Grenze gewesen wäre und bin froh in einem freien Europa ohne Grenze zu leben. (*1989)