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Eine Mauer für Freiheit und Sicherheit

kam. Eine Stadt wie Nördlingen hatte größere Ambitionen.

Mit gut 6.000 Einwohnern im 15. Jahrhundert gehörte

es zu den mittelgroßen Städten, produzierte z.B. Tuche,

Loden und Barchent für einen überregionalen Markt, besaß

Münzrecht, hatte nachweisbar seit 1219 eine Pfingstmesse,

die mit der Zeit die Stadt zu einem wichtigen Fernhandels-

platz in der Südhälfte Deutschlands machte. Wenn Nörd-

lingen eine Mauer baute, dann ging es um die Freiheit der

Stadtrepublik und den Wohlstand ihrer Bürger.

Die Bedrohungen waren sehr konkret. Für die Grafen

von Oettingen hätte die Herrschaft über Nördlingen eine

Arrondierung ihres Machtbereichs bedeutet. Auch die

bayerischen Herzöge, die durch Pfandschaften in dem

Raum Fuß gefasst hatten, haben einen begehrlichen Blick

auf die Reichsstadt geworfen. Um seine Freiheit zu vertei-

digen, hat sich Nördlingen nicht nur auf seine Mauer ver-

lassen. Dutzende Male war die Stadt vom 14. bis ins 16.

Jahrhundert mit eigenen Truppen an Kriegen und Fehden

beteiligt.

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Die Reichsstadt stellte König und Kaiser Kon-

tingente zur Verfügung, die aus angeworbenen Söldnern,

aber auch aus Bürgern bestanden. Als Kaiser Friedrich III.

1474 gegen Herzog Karl den Kühnen von Burgund Krieg

führte, gehörten die Nördlinger zusammen mit anderen

Städten zu den ersten, die bereit standen, das belagerte

Neuß zu entsetzen. Der Kaiser belohnte die Städte mit

einem Privileg, das ihnen erlaubte, ihre Befestigungen

auszubauen, mit „Gräben, Vorwerk, Zeun, Pastein, Turen,

Planken und Schranken“.

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Besonders der Hinweis auf

Basteien ist bemerkenswert.

Nördlingen engagierte sich im Reichsdienst, bei der

Wahrung des Landfriedens (so zog man 1521 gegen die

fränkischen Raubritter) und schloss immer wieder Bünd-

nisse mit anderen Reichsstädten. Im Städtekrieg (1449–

1453) zog die Allianz schwäbischer Reichsstädte u.a.

gegen die Grafen von Oettingen und von Württemberg,

die Markgrafen von Brandenburg-Ansbach, die Herzöge

von Bayern. Bei diesen und vielen anderen Unternehmun-

gen wurde die Nördlinger Stadtmauer nicht auf die Probe

gestellt. Aber sie war die Voraussetzung dafür, bündnis-

fähig zu sein und in der Reichspolitik eine Rolle zu spie-

len. Nördlingen half dem Kaiser und unterstützte die

Bündnispartner, um im Ernstfall mit deren Hilfe rechnen

zu können. Zweimal musste die Nördlinger Stadtmauer

einem mächtigen Feind standhalten.

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Herzog Georg der

24 Vgl. Voges (wie Anm. 20) , S. 220–227.

25 Zit. nach Zipperer (wie Anm. 20) S. 23.

26 Vgl. ebd., S. 74 f., Voges (wie Anm. 20), S. 224f.

Reiche von Bayern-Landshut erschien 1471 und 1485 mit

Heeresmacht vor der Stadt, beim zweiten, gefährlicheren

Angriff mit 700 Berittenen und 5.000 Fußsoldaten, um

die Stadt aus nichtigem Anlass in die Knie zu zwingen.

Nach sechs Wochen Belagerung zog er auf Druck Kaiser

Friedrich III. ab.

Das Wettrüsten

Es gibt Momente, in denen sich Vorzüge ins Gegenteil

verkehren. Die hohen und nicht allzu dicken mittelal-

terlichen Stadtmauern waren schwer zu übersteigen. Für

weitreichende und präzise Artillerie waren sie hingegen

ein leichtes Ziel. Feuergeschütze gab es schon im 14. Jahr-

hundert, schwerfällige Mörser und Bombarden, gut für

Zufallstreffer. Seit der Mitte des 15. Jahrhunderts änderte

sich das; es war mit neuer Waffentechnik zu rechnen, und

im 16. Jahrhundert musste eine Stadt ganz anders vertei-

digt werden als im Mittelalter.

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1449 baute Nördlingen das erste Bollwerk

,

um Defen-

sivartillerie in Stellung zu bringen. Die Alte Bastei

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erhielt

aber erst im 16. Jahrhundert ihre endgültige Gestalt. Sie

schützte die Stadt an der Stelle, an der das Gelände zur

Schwäbischen Alb ansteigt. Dort konnte sich feindliche

Artillerie verschanzen; eine Schwachstelle war entstan-

den, für die die mittelalterliche Mauer nicht gerüstet

war. Es galt, die Angriffsartillerie zu bekämpfen und auf

Distanz zu halten. Schon im späten 15. Jahrhundert ist

an der Verstärkung von Toren, Vorwerken und Türmen

gearbeitet worden, um dort Geschütze aufstellen zu kön-

nen. Die meisten solcher Bauten stammen aber aus dem

16. Jahrhundert. In Nördlingen wurden beispielsweise

am Löpsinger Torturm und am Feilturm nahe der Alten

Bastei die oberen Stockwerke abgetragen und durch dick-

wandige Zylinder ersetzt, die Kanonen tragen und von

der feindlichen Artillerie nicht so frontal getroffen wer-

den konnten wie die Türme auf quadratischem Grundriss.

Nürnberg hat 1556–64 die vier gotischen Tortürme der

äußeren Mauer vollständig rund ummantelt – heute noch

ein imposanter Anblick. Bei der Vorbereitung auf den

Festungskrieg war nicht nur in Bauwerke zu investieren,

sondern auch in eine Artillerie mit immer größerer Reich-

weite und Zielgenauigkeit. Die Zahl der Städte nahm ab,

die bei diesem Wettrüsten mithalten konnte.

In Nördlingen wurde die mittelalterliche Mauer zu

Beginn des 17. Jahrhunderts ein letztes Mal durch eine

27 Vgl. Bondt (wie Anm. 18), S. 121–139.

28 Vgl. Voges (wie Anm. 20), S. 113 f., und Kessler (wie Anm. 3), S. 54–57.