Table of Contents Table of Contents
Previous Page  25 / 80 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 25 / 80 Next Page
Page Background

25

Historische Darstellungen in Computerspielen

Einsichten und Perspektiven 4 | 15

viel stärker wie ein moderner, anonymer, urbaner Raum

mit historisierender Kulisse als eine korrekte historische

Darstellung. Aber eben dies unterscheidet eine künstleri-

sche Simulation von einer realistischen, dass bestimmte

Merkmale hervorgehoben werden und auf andere verzich-

tet wird. In einer Welt mit korrektem Städtebau und rea-

listischem Verhalten der Bevölkerung wäre eine Helden-

geschichte wie ACU kaum spielbar, sodass die Entwickler

sich im Leveldesign auf zentrale Plätze und die Archi-

tekturen einzelner Gebäude konzentriert haben und die

Revolutionsgeschichte über historische Figuren, eingebet-

tete Geschichten und kleinere und größere Ereignisse auf-

führen, wobei Ubisofts Haushistoriker Maxime Durand

besonderen Wert auf die dokumentierte Folklore, Mythen

und Legenden legte. 

13

Während das Paris der Revolutionszeit in ACU ins-

besondere bei den bekannten Gebäuden architektonisch

und atmosphärisch als gut getroffen gilt, 

14

wird von Kri-

tikern der antirevolutionäre Impetus des Spiels erwähnt,

der sich sowohl in der Narration als auch im themati-

schen Setting findet. Während der Spieler zahlreiche

Missionen zu erfüllen hat, die den Revolutionszielen ent-

gegenstehen, werden die Schrecken der Tribunalzeit, die

Gewaltexzesse und Hinrichtungen unter Zustimmung

der Bevölkerung und die Herrschaft von Robespierre als

Konsequenz einer Verschwörung der Templer inszeniert

und die Revolution damit als notwendig zum Scheitern

verurteilt dargestellt:

„And once you put a conspiracy theory

at the heart of the revolution, you are essentially doomed to

start to say things that sound counter-revolutionary because

those two things have been together for the past two hundred

and twenty years.“

15

Dies mag ein harsches Urteil für das Geschichtsbild des

Spiels sein, es muss aber im Kontext des Werks und des

Mediums gesehen werden. Zum einen stellt ACU gar nicht

den Anspruch, eine Rekonstruktion der Französischen

Revolution und ihrer sozialen, politischen und historischen

Komplexität zu sein. Als künstlerische Fiktion orientiert

es sich weniger an Historikerwerken wie Jules Michelets

„Geschichte der Französischen Revolution“ als an histori-

schen Romanen wie Emma Orczys „Scarlett

Pimpernell“

13 Matt Kamen: Assassin’s Creed historian on merging the past with fiction

(2014),

http://www.wired.co.uk/news/archive/2014-10/23/assassins-creed-

unity-interview-maxime-durand [Stand: 27.11.2015]

14 Vgl. z.B. Lucy O’Brien: Assassin’s Creed Unity Is Dark, Bloody, Beautiful

(2004), vgl.

http://ca.ign.com/articles/2014/10/06/assassins-creed-unity-

is-dark-bloody-beautiful [Stand: 27.11.2015].

15 Vgl. Andress in Whitaker (wie Anm. 12).

oder Charles Dickens „Geschichte zweier Städte

, deren

Autoren ebenfalls mehr auf die Brutalität und Schrecken

des Mobs und der Guillotine eingehen als auf die soziokul-

turellen Umstände der Revolutionsdynamik.

Historische Spiele wie Assassin’s Creed sind weniger

als Geschichtslehrgang zu würdigen, sondern vielmehr

als Ausgangspunkt, an dem ein eigenes Interesse für his-

torische Themen beginnt. Es ist ein großer Unterschied,

von der Renaissance, dem amerikanischen Unabhängig-

keitskrieg, der Französischen Revolution oder den Arbei-

terkämpfen nur zu lesen oder – zugespitzt formuliert –

zumindest als Spielerin oder Spieler dabei gewesen zu

sein. Niemand geht davon aus, in einem kommerziellen

Unterhaltungsprodukt die historisch exakte Repräsenta-

tion einer Epoche zu finden, sei es in Büchern, in Filmen

oder in Spielen. Oder wie der Historiker Nicolas Trépa-

nier es ausdrückt:

„In other words, Assassin’s Creed is the best

kind of history book: one that doesn’t simply dole out facts

and figures for the reader to memorize, but instead invites

them into its world to poke and prod at the nuances of doubt

and obscurity.“

16

(Diese Aussage lässt sich auf zahlreiche

historisierende Computerspiele übertragen. Eine kritische

Analyse ist notwendig, aber das gilt für alle Medien, in

denen explizite oder implizite Aussagen über historische

Gesellschaftsformationen getroffen werden. Die Chance,

eigene Erkundungen in simulierten historischen Schau-

plätzen anzustellen, bieten nur interaktive Medien, wobei

Computerspiele ein idealer Einstieg sein können.

16 Vgl. Anm. 11.