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Historische Darstellungen in Computerspielen
Einsichten und Perspektiven 4 | 15
tungsprodukte vernachlässigen zahlreiche Computerspiele
die Zeitlosigkeit des Kunsterlebnisses, greifen dafür aber
umso stärker die Unmittelbarkeit der ästhetischen Über-
wältigung auf und reihen sich zum Attraktionskino des
Actionfilms.
Hinzu kommt die mediale Zweitverwertung: Gewalt
liefert Screenshots, die in anderen Medien wie Zeitung,
Zeitschrift, Fernsehen oder Websites gut zitierbar sind, je
nach Publikum mit dem Ziele der Interesseförderung oder
der Abgrenzung. Daher sind vor allem solche Spiele medial
präsent, in denen es besonders derbe zur Sache geht, was
auf das Medium insgesamt abfärbt. Die zahlreichen Sport-
und Rennsimulationen, Aufbau- und Strategiespiele, Puzz-
les, Adventures und Jump’n’Runs werden nur am Rande
zur Kenntnis genommen und in der öffentlichen Wahr-
nehmung sowohl in ihrer Marktbedeutung als auch im
Zuspruch auf Seiten der Spieler unterschätzt.
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Die in die-
sem Zusammenhang artikulierte Sorge um die Gemütsver-
fassung routinierter Spieler und die Wirkung auf Einsteiger
speiste sich vor allem aus den Screenshots und Ausschnit-
ten und ist selten durch eigene Spielerfahrung begründet.
Der gesellschaftliche Diskurs über die Wirkung die-
ser Gewalt auf die Spieler hat sich in den letzten Jahren
6 Vgl.
http://vgchartz.com[Stand: 01.12.2015].
jedoch sehr abgekühlt. Dies nicht etwa, weil der Streit
beendet wäre – noch immer gibt es regelmäßig Studien
über die Wirkung oder Wirkungslosigkeit von Gewalt-
darstellungen in Computerspielen –, sondern weil die
gesellschaftliche Sorge insgesamt nachgelassen hat. Trotz
immer krasserer Mediengewalt nimmt die echte Gewalt
unter Jugendlichen nicht zu, sondern tendenziell ab, trotz
immenser Verkaufserfolge von „Shootern“ bleiben Amok-
läufe bedauerliche Einzelfälle. Die Zusammenhänge zwi-
schen gewalthaltigen Computerspielen, gemeint ist hier
die Darstellung von Gewalt auf dem Bildschirm, und
tatsächlicher Gewaltausübung durch die Spieler außer-
halb der Spielwelt bleiben komplex und sind keineswegs
in einem einfachen Ursache-Wirkungsprinzip zu sehen.
Faktoren wie genetische Einflüsse, aggressive Persön-
lichkeitsmerkmale, Fähigkeiten der Selbstkontrolle oder
Missbrauchsbiographien spielen bei Gewaltdelikten durch
Jugendliche eine deutlich größere Rolle als gewalthaltige
Fernsehinhalte oder Videospiele.
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Das ist wenig überra-
schend angesichts der Tatsache, dass auch Boxer, Sport-
schützen oder Footballer ihre Kompetenzen nicht außer-
7 Christopher J. Ferguson/John Kilburn: Much Ado About Nothing: The Mis-
estimation and Overinterpretation of Violent Video Game Effects in East-
ern and Western Nations: Comment on Anderson et al. In: Psychological
Bulletin Vol. 136, Nr. 2, (2010), S. 174–178.
Screenshot aus dem Spiel „Star Wars Battlefront”
Bild: Electronic Arts GmbH